Wir schreiben das Jahr 1916. Das vom ersten Weltkrieg erschütterte Europa ist ein dunkler, feindseliger Ort. Furchtbare Wesen wie Vampire und Dämonen waren in Vergessenheit geraten, als den Menschen die Angst vor der Finsternis verloren ging. Doch das Donnern der Artillerie, all die Schreie und all das Blut erweckten die bösartigen, alten Wesen und brachten sie zurück in unsere Welt.

Der Soldat Sir Henry Baltimore begegnet ihnen das erste Mal auf einem Schlachtfeld in Frankreich. Riesige, blutsaugende Fledermäuse fallen über seine Kameraden her und zerreißen die meisten von ihnen, als seien sie aus Papier. Doch Baltimore trotzt den Monstrositäten, sticht einem der gewaltigen Tiere ein Auge aus und bezahlt seinen Mut mit seinem Bein, dass er auf dem Schlachtfeld zurücklassen muss.

Erweckt durch die von Baltimore zugefügte Verletzung verwandelt sich Vampirfürst Haigus von der Fledermaus zurück in seine menschenähnliche Gestalt und schwört dem entsetzten Soldaten grausame Rache. Bei Ankunft in England bewahrheiten sich die schlimmsten Vorahnungen. Haigus hat Baltimores ganze Familie getötet oder in seelenlose, blutrünstige Wiedergänger verwandelt. Baltimore ist gezwungen seine eigene Frau von ihrem Elend zu erlösen.

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Auf den insgesamt 576 Seiten des gewaltigen Hardcovers bahnt sich Der Monsterjäger wider Willen, nun mit einem Holzbein versehen und bewaffnet mit einer Hapune seinen Weg durch das von der Pest des roten Todes zerfressenene und vom Krieg zertrümmerte Europa. Alles was Henry will ist seine Rache an Haigus, um anschließend endlich selbst seinen Frieden im Tod zu suchen. Ein von seiner Rache besessener Antiheld mit Holzbein und Hapune war bereits Captain Ahab in Herman Melvilles Literaturklassiker „Moby Dick“. Und er soll nicht die einzige Figur aus Literatur oder Geschichte bleiben, die ihren Weg in die Seiten von „Baltimore“ findet.

Ähnlich wie mit seinem „Hellboy“, der das Genre neu definierte flechtet Mike Mignola gemeinsam mit Christopher Golden diese unserem Kulturgut entnommenen Stränge tief in die eigene Erzählung mit ein. Wie schon der teuflische Ermittler im Trenchcoat wirkt auch Sir Henry Baltimore so wie eine Figur, die schon immer fest mit unserer Kultur verbunden war. Eine Figur, die sich nur vor uns versteckt hatte, bis das Autorenteam ihn wieder entdeckte. Nur dass es hier weniger um folkloristische, mythologische Wesen geht, sondern die Protagonisten aus Geschichtbüchern und britischen „Gothic Novels“ entliehen wurden, was sich fantastisch in das postapokalyptische Nachkriegssetting fügt.

Auch viele neu kreierte Nebencharaktere wie der verzweifelte Wissenschaftler Leskovar, der ekelerregend bösartige Inquisitor Duvic oder die mysteriöse Zugführerin Fulcanelli erfüllen Goldens und Mignolas triste, graue Welt mit bösartigem, rot glühendem Leben.

Was bei oberflächlicher Betrachtung als stumpfe Ästhetik-Action in der Tradition von Popcorn-Kino wie „Underworld“ oder „Van Helsing“ falsch verstanden werden könnte ist in Wahrheit extrem stilvoller, klassischer Horror, den ich einige Male wirklich gruselig fand. Ich liebe Comics als Medium und ich mag auch düstere Fantasy- und Horrorszenarien. Aber es fällt meiner Meinung nach einem Comic durch deutlich weniger Worte viel schwerer echtes Entsetzen auf den Leser zu transportieren als einem Roman. Duch die Präsentation mit Musik und Soundeffekten hat es auch ein Film deutlich leichter mich zu gruseln.

Der neuseeländische Zeichner Ben Steinbeck versteht es meisterlich diese fehlenden Hilfsmittel durch seinen zwar Mignola nicht unähnlichem, aber deutlich emotionalerem, direkterem Stil komplett zu kompensieren. Mit den wortlosen Panels, in denen Lord Baltimore eines der Pestschiffe betritt und Vanessas Blick den einer Krähe trifft, war mir klar, dass ich mit diesem Buch etwas ganz Besonderes in den Händen halte. Einem solchen Moment ganz ohne Worte und Musik emotionale Tiefe zu verleihen und ihn nicht zu dekorativem Füllmaterial verkommen zu lassen braucht außerordentliche Fähigkeiten.

Baltimore ist ein fesselndes Meisterwerk von der ersten bis zur letzten Seite, sieht großartig aus und transportiert eine Stimmung die höchstens ein wenig mit Hellboy zu vergleichen ist, aber sich im Grunde an nichts messen will und muss. Das macht diesen ersten Band, der die ersten vier US-Sammelbände vereint zu meinem allerersten COMIC DES MONATS auf deinantiheld.de

Enthaltene US-Einzelhefte –

  • A Passing Stranger (Free Comic Book Day)
  • The Plague Ships 1-5
  • The Curse Bells 1-5
  • Dr. Leskovar’s Remedy 1-2
  • The Play
  • The Widow and the Tank
  • The Inqusitor
  • The Infernal Train 1-3
  • Chapel of Bones 1-2

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  • Zeichner – Ben Stenbeck
  • Autoren – Christopher Golden, Mike Mignola
  • Limitiert auf 1.222 Exemplare
  • Erschienen am – 22.06.2015
  • Format – 16×24, HC, 4c, 576 Seiten
  • Genre: Horror/Mystery
  • Preis: 50,00 
  • ISBN 978-3-86425-665-3