Wie würde jemand ohne Ehre und Anstand seine besonderen Fähigkeiten nutzen? Diese Frage stellt sich kein geringerer als „The Walking Dead“-Autor Robert Kirkman in dieser abgeschlossenen Reihe über eine alternative Fassung des nächsten Marvel-Helden, der den Sprung auf die Leinwand schafft.

Oder besser fast. Denn in „The Irredeemable Ant-Man“ (so der Originaltitel der abgeschlossen im Band vorliegenden Serie) ist nicht etwa Hank Pym der Star, der ursprüngliche Ant-Man, Erschaffer des Anzuges und von Killer-Roboter Ultron. Und auch nicht Scott Lang, der den Anzug 1979 übernahm, wie schon einst Pym zum Avenger wurde und dessen Geschichte die Vorlage für den neuen Marvel-Film bildet. Beide vorherigen Träger des Anzuges waren keine durchweg guten Menschen. Hatten Ecken, Kanten und dunkle Schatten über ihrem Privatleben. Aber beide sind absolute Waisenknaben gegen Eric O’Grady. Eric ist einfach durch und durch ein Arschloch, aber auch nicht aus dem Holz geschnitzt, aus dem größenwahnsinnige Diktatoren und finstere Bösewichte sind. Er ist einfach ein richtig, richtig charakterschwacher, egoistischer, armseliger Typ.

Ein Jammer, dass ausgerechnet dem unterqualifizierten und verantwortungslosen S.H.I.E.L.D.-Agenten bei einem Überfall auf den Heli-Carrier (das mobile Hauptquartier des Geheimdienstes) die neueste Version von Doctor Hank Pyms „Ant-Man“-Anzug in die Hände fällt. Eric nutzt die überraschend gewonnenen Kräfte erwartungsgemäß weder dazu, die Macht über einen kleinen europäischen Staat an sich zu reißen, noch um Menschen in Not zu helfen. Stattdessen bespannt er Frauen, inszeniert Rettungsaktionen um Frauen ins Bett zu bekommen, oder klaut Ganoven ihre Beute um damit – Richtig – Frauen zu beeindrucken. Mehr als einmal unterschätzt er dabei die Fähigkeiten, die ihm seine Ausrüstung verleiht und fügt den Menschen um sich herum schwere Verletzungen zu. Und natürlich muss er sich auch vor seinen ehemaligen Kollegen von S.H.I.E.L.D. verstecken, die ihm und vor allem der extrem teuren Ausrüstung dicht auf den Fersen sind…

Eric O’Grady, der „unverbesserliche Ant-Man“ ist der Inbegriff eines Antihelden. Und genau das macht Robert Kirkmans zynische, augenzwinkernde Attacke auf das Superheldengenre so unglaublich charmant. Es gibt so viele begabte Wesen im Marvel-Universum, dass man bei realistischer Betrachtungsweise nicht davon ausgehen kann, sie ließen sich stereotyp nur in aufrichtige, edelmütige Helden und besessene, bösartige Wahnsinnige unterscheiden. Dazwischen muss es auch einen Menschen von dieser ekelhaften, egoistischen Sorte geben, wie ihn vermutlich jeder von uns schon kennenlernen musste.

Das 292 Seiten starke Paperback ist überwiegend sehr, sehr temporeich und witzig erzählt, auch wenn der zynische Grundton oft tragische Ereignisse beschreibt. Im Zusammenspiel mit Zeichner Phil Hesters kantigem Cartoonlook entsteht so ein bissiges, überzeugendes Szenario, dass auf eine angenehm frische Art und Weise den prominenten Heldenkollegen zeigt, wie man eine fesselnde, unverbrauchte Geschichte erzählt.

Natürlich muss man Marvel zugute halten, dass es mit einer wenig prominenten Figur deutlich leichter fällt Experimente zu machen. Die haben meistens eine deutlich kleinere Fanbase, die gegebenenfalls unpopuläre Änderungen mit ausbleibenden Käufen bestrafen könnte. Wichtig und gut finde ich, dass solche Experimente aber nach wie vor und sogar mit prominentem Personal passieren. Mit dem aktuellen „Silver Surfer“ von Mike Allred oder Skottie Youngs „Rocket Raccoon“ wird deutlich, dass man auch mehr und mehr Bereitschaft zeigt, abgefahrene, neue Dinge mit populären Figuren auszuprobieren und dabei künstlerische Akzente zu setzen. Bravo.

Der „Ant-Man – Megaband 1 – Einfach Unverbesserlich“ ist eine spannende, abgeschlossene Geschichte, die mitten im Marvel-Universum mit seinen zahlreichen Ereignissen spielt, ohne eine breite Kenntnis darüber vorauszusetzen. Mit einer modernen, episodischen Erzählweise, die durch Rückblenden und Zusammenfassung häufig den Charakter einer TV-Serie hat, wertet Kirkman sein witziges Experiment deutlich auf und verleiht ihm so Anspruch ohne dabei trocken oder langweilig zu werden. Das Ende der Saga hätte dabei für meinen Geschmack deutlich dreckiger und krasser ausfallen dürfen und wirkt ein wenig inkonsequent. Was nichts am großen Unterhaltungswert und Freak-Faktor des unverbesserlichen Ant-Man ändert. Zwei Dinge die mir bei einem Comic wesentlich wichtiger sind als Perfektion.

Der Megaband erscheint kurz vor dem deutschen Kinostart von „Ant-Man“, am 21.07.2015 zum Preis von 28€. Den finde ich für ein Paperback insgesamt ein wenig hoch, der große Seitenumfang und die inhaltliche Qualität werden den Schmerz des geneigten Käufers aber angemessen lindern.

  • Erscheint am 21.07.2015
  • 292 Seiten
  • Format – Softcover
  • Original-Storys – The Irredeemable Ant-Man 1-12, Civil War: Choosing Sides 1 (II), Amazing Fantasy (2004) 15 (IV)
  • Autor – Robert Kirkman
  • Zeichner – Phil Hester, Cory Walker
  • Preis: 28,00 €

Rezensionsmuster – Paperback, zur Verfügung gestellt von Panini – Herzlichen Dank! Screenshots aus der digitalen, englischen Version von Comixology

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