Zahlreiche schaurige Legenden ranken sich um das tatsächlich existierende Sanatorium Waverly Hills. In Egmonts „All-in-one“-Band „Pandämonium“ widmet Autor Christophe Bec (Vergessene Welt, Splitter) gemeinsam mit Künstler Steffano Raffaele einen klassischen Gruselmythos in Comicform.

Die Geschiedene Doris will das Schicksal ihrer Tochter Cora nicht akzeptieren. Das kleine Mädchen ist an Tuberkolose erkrankt und Doris möchte, dass Ihr im Sanatorium Waverly Hills geholfen wird. Schließlich hat sie selbst mit Hilfe der Klinik als Kind die TBC besiegen können. Sie selbst bietet ihrer Dienste als Krankenschwester an, um sich die kostspielige Behandlung wenigstens im Ansatz leisten zu können. Doch leider hat die Realität nicht viel mit ihren verklärten Erinnerungen an den Ort der Rettung zu tun. Die meisten angestellten Ärzte sind selbstbesessene, geldgierige Metzger, denen nicht das Geringste am Wohl ihrer Patienten liegt. Auch Cora gefällt es im Krankenhaus überhaupt nicht. Besonders die gruseligen Prophezeihungen von George aus dem „Negerhaus“ nebenan machen dem kranken Mädchen schwer zu schaffen…

Raffaeles Annäherung an den Stil amerikanischer Gruselcomics der fünfziger und sechziger Jahre weiß durchaus zu gefallen. Die sichere, nicht zu verspielte Linienführung und die atmosphärischen Tusche-Schattierungen lassen schnell eine amtliche Gruselstimmung aufkommen. Leider kann die Kolorierung diesen Standard nicht immer halten. Auch wenn die hier verwendeten Screenshots noch durch gute Farbauswahl und den Look von flächig auf strukturiertem Papier aufgetragener Farbe glänzen, kommt es im späterem Verlauf des Gesamtbandes des Öfteren zu arg weichen Übergängen, die oft klinisch digital wirken und den Retro-Charme trüben. Merkwürdig, genau das gleiche Problem hatte ich schon einmal beim zweiten Band von „Vergessene Welt“ aus der Feder von Christophe Bec, obwohl er dort mit völlig anderen Künstlern kolaboriert hat.

Das stimmungsvolle Skript konzentriert sich bei der Charakterentwicklung voll und ganz auf Mutter Doris und Tochter Cora. Alle weiteren Charaktere dienen Christophe Bec im Grunde nur als Instrumente, um ganz unterschiedlichem Druck auf die bemitleidenswerten Protagonistinnen auszuüben. Das gelingt ganz exzellent. Die Anspannug überträgt sich konstant und ansteigend auf den Leser und sorgt für autenthischem Stress. Dabei nimmt mit Fortschreiten der Handlung die Textdichte immer mehr ab. Ich durfte eine Sequenz von Sage und Schreibe acht Seitenzählen, die gänzlich ohne Text auskamen. Dieser Kunstgriff stützt den Eindruck der immer stärker werdenden Entfremdung und ist ein weiterer Beitrag zum dichten, stimmungsvollen Horror-Mosaik.

Der echte, haarsträubende Horror an „Pandämonium“ ist die einfühlsame Versinnbildlichung der Einsamkeit und des grausamen Trotts im Alltag eines Krankenhauses. Was wir selbst heute, unter modernen Umständen häufig als belastend und deprimierend empfinden ist ein Kindergeburtstag verglichen mit den technischen und pflegerischen Standards Anfang der fünfziger Jahre. Das Leiden und die Isolation von Doris und Cora transportieren Bec und Raffaele so echt und nachvollziehbar, dass sie „Pandämonium“ zu einem deprimierenden, emotionalem Strudel für Comicgenießer mit viel Hornhaut auf der Seele machen. Diese emotionale Leidensfähigkeit wird auch beim Öffnen des Geldbeutels helfen. Denn auch wenn „Pandämonium“ ein durch die Bank sehr guter und vielschichtiger Gruselcomic ist, sind 39,99€ für den Umfang von 160 Seiten im herkömmlichen Buchformat schon sehr happig.

  • Autor – Christophe Bec
  • Künstler – Stefano Raffaele
  • Format – Hardcover
  • Seiten – 160
  • Originaltitel – Pandemonium
  • Originalverlag – Soleil
  • ISBN – 978-3-7704-3544-9
  • Preis 39,99€

Rezensionsexemplar – Hardcover, zur Verfügung gestellt von Egmont – Herzlichen Dank!