Die zweite „Staffel“ der italienischen Sci-Fi-Serie geht in die ebenfalls zweite Runde. Obwohl das Erzähltempo deutlich gedrosselt wurde konnte mich auch der zweite Band vollends überzeugen. Zwar habe ich nicht erwartet, dass die dominante Action des ersten Teils so stark der Charakterentwicklung weichen würde, aber gerade das macht den zweiten Band von „Ringo“ besonders reizvoll.

Der ehemalige Freiheitskämpfer „Ringo“ führt drei jugendliche Waisen durch ein endzeitliches, von der eiskalten Diktatorin Juric unterjochtes Italien. Während Seba und Rosa sich allen Widrigkeiten zum Trotz die Unbeschwertheit ihrer Jugend bewahren, verkraftet der schüchterne Nuè nicht, dass Rosa sich ganz offensichtlich zumindest körperlich mehr zu Seba hingezogen fühlt und verlässt seine Freunde unbemerkt. Dabei ahnt er noch nicht, welche unsäglichen Gefahren eine Welt mit sich bringt, in der scheinbar niemand mehr etwas zu verlieren hat…

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Auch mit dem zweiten Band der zweiten „Waisen“-Staffel beweist Autor Robert Recchioni, dass sich seine düstere Endzeitvision inhaltlich vor vielen teuren TV-Serien nicht zu verstecken braucht. „Ringo“ entwickelt sich vom charmanten, Manga-esquen Actiontrip durch einfühlsame Charakterentwicklung zu einer vielseitigen, unterhaltsamen Reihe, bei deren Lektüre die Minuten dahinschmelzen wie Butter in der Sonne.

Einen kleinen Rückschlag müssen die vom ersten Band optisch verwöhnten Leser aber hinnehmen. „Nummer Vier“, der zweite Band von „Ringo“ ist zeichnerisch zweigeteilt. Und auch wenn Carlo Ambrosini seinen Job handwerklich respektabel verrichtet und sein skizzenhafter, europäischer Look durchaus seinen Charme hat, verblasst seine Arbeit deutlich neben den detaillierten und ausdrucksstarken Zeichnungen, mit denen Alex Massaci in der zweiten Hälfte des Buches „Ringo“ zur bisherigen, visuellen Höchstform auflaufen lässt.

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Aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau. Die charakteristische Kolorierung des ersten Bandes, die klassische, handwerkliche Farbarbeit mit geschmackvoll eingestreuten Digitaleffekten kombiniert, führt die beiden Hälften schlüssig zusammen und hält den optischen Gesamteindruck konstant klar über dem Durchschnitt.

„Ringos“ hervorstechende Qualität liegt aber in der bedrückenden Schilderung der vom Italien nach dem zweiten Weltkrieg inspirierten Endzeitwelt. Absolut hervorzuheben ist die Entwicklung von Hauptcharakter Ringo, der durch seine drei Schützlinge sein eigenes Verhalten und seine Vergangenheit immer wieder hinterfragen muss. Es gibt einen wirklich intensiven Schüsselmoment, nachdem Seba von einer Frau gezwungen wurde mit ihr zu schlafen. Wie Ringo flapsig versucht den Jungen darüber hinwegzutrösten, und wie dieser die Ignoranz seines Ziehvaters kontert ist beispielhaft für die exzellenten Charaktere, die Recchioni schreibt.

Generell spielen Unterdrückung und sexuelle Gewalt eine große Rolle bei der beklemmenden Ausgestaltung der aussichtslosen Welt im zweiten „Waisen“-Zyklus. Diese Stilmittel werden aber nie zur Sensation, zum Voyeurismus genutzt, sondern stattdessen nach ihrer Andeutung konsequent verhüllt. Es geht darum die Gefühle der Opfer nach den Taten nachzuvollziehen, nicht währenddessen.

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Rosas, Sebas und Ringos Suche nach ihrem Freund Nuè lässt erahnen, was „Ringo“ mit den nächsten vier Bänden noch erzählen und leisten kann. Die Wandlung vom hochtechnisierten Actiondrama im ersten Band, hin zum melancholischen Trauermarsch durch die zerstörte Welt ist gänzlich geglückt. Und selbstredend müssen Freunde gepflegter Action nicht gänzlich auf knackende Knochen und wuchtige Explosionen verzichten. In der Welt der „Waisen“ gibt es viele schlechte Menschen, gegen die der ehemalige Pistolero „Ringo“ seine drei unfreiwilligen Adoptivkinder verteidigen muss. Und wie jeder Vater macht es den Kraftprotz mit den katzenartigen Reflexen stinksauer, wenn jemand seine Kleinen anrührt…

  • Autor – Roberto Recchioni
  • Künstler – Carlo Ambrosini, Alex Massacci
  • Erschienen – 28.09.2015
  • Format – 16x21cm, Hardcover, 4farbig
  • Seiten – 208
  • Preis – 19,80 
  • ISBN – 978-3-86425-693-6
  • Genre – Science-Fiction

Rezensionsmuster – Hardcover, zur Verfügung gestellt von Cross Cult – Herzlichen Dank!

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