Nach „Showman Killer“ ist „Alef-Thau“ nun der zweite Jodorowsky-Comic den ich je gelesen habe. Es war ein anstrengender, langer Weg. Die Welt von „Alef-Thau“ ist bizarr und voller spiritueller Metaphern und selbstverständlich geschilderten, traumartigen Sequenzen. Aber, lässt man sich erst einmal darauf ein auch voller Zuversicht und grenzenloser Fantasie…

Der kleine Alef-Thau wird in einen schrecklichen Krieg geboren. Kurz bevor er das Licht der Welt erblickt wird seinen Eltern von einer geheimnisvollen, hochtechnisierten Macht ihre Lebenskraft geraubt. Mit letzter Kraft bringt die Mutter bevor sie und ihr Mann die Welt der Lebenden verlassen den durch den Eingriff schwer entstellten Jungen zur Welt. Alef-Thau wird ohne Beine und Arme geboren. Mirra, das treue, nach einer Begegnung mit der abgezapften Lebensenergie riesenhafte Haustier der Familie bringt das Baby so schnell es kann in Sicherheit. Im Wald der Gnome zieht nun der alte, magisch begabte Hogl Alef-Thau als seinen eigenen Sohn auf.

Trotz seiner Einschränkungen wächst der kleine zu einem glücklichen, jungen Mann heran. Als er im erneuten Schlachtengetümmel der schönen Diamantha begegnet, ist es um ihn geschehen. Sein Herz gehört Diamantha und ihr Herz soll ihm gehören, was es auch kosten mag. Trotz Hogls alarmierender Vorsehungen setzt Alef-Thau alles daran seinen Körper und sein Herz zu vervollständigen. Doch scheinbar gehört die mysteriöse Schönheit zu den mächtigen Unsterblichen, die Schuld an seinem grausamen Schicksal und dem seiner Eltern sind…

Es ist wohl keine haltlose Unterstellung zu behaupten, dass Künstler Arno vom genialen Moebius inspiriert worden ist. Die feinen, sicheren Linien, nur sehr gelegentlichen Schraffuren und quasi nicht vorhandenen Tuschflächen lassen keinen Platz für technische Ungenauigkeiten. Mit sicherem Strich und dezenter Farbwahl vollbringt Arno diese selbstauferlegte Prüfung und ergänzt das wilde Fantasie-Sperrfeuer von Jodorowsky ausgezeichnet.

Trotz zahlreicher Anleihen sowohl bei historischer Mythologie als auch moderner Fantasy wirkt „Alef-Thau“ obwohl die Serie bereits 1983 ihren Ursprung nahm unglaublich frisch und unverbraucht. Das liegt maßgeblich an der traumartigen Erzählweise, die sich nicht die Mühe gibt Szenarien oder Geschehnisse die in unserer realen Welt nicht möglich sind herzuleiten oder zu erklären. Wenn sich ein Feld von Blüten öffnet und tausende nackter, kleiner Elfen zur Hilfe eilen um die Helden vor bösartigen, fleischfressenden Mikroben zu retten, dann ist das eben so. Wenn Alef-Thau einen Rubin findet, der einmal das Auge des Lebensbaumes war, dann setzt er sich ihn in die eigene, leere Augenhöhle und tauscht den Stein durch Teleportation mit seinem eigenen Auge, dass er dem Baum zuvor im Tausch gegeben hatte. Das ist eben so. „Alef-Thau“ sprüht nur so vor Metaphern und poetischen Sinnbildern. Die „Vervollständigung“ des Titelhelden und die komplexe Auseinandersetzung mit Liebe, Macht, Tod und Spiritualität hat den Charakter mythologischer Erzählungen und biblischer Gleichnisse. Das verschafft den beiden Bänden einen sehr epischen Charakter.

 

Was in diesem Auszug verstörend und verwirrend klingen muss, wurde im Laufe der Geschichte auch für mich als sehr irritiertem Leser immer selbstverständlicher, da sich die naive, selbstverständliche Grundhaltung der handelnden Charaktere auf mich übertrug. Das macht das Szenario nicht weniger grotesk oder anstrengend, war aber eine wirklich aufregende Erfahrung. Ich liebe es, wenn man mir Geschichten erzählt, egal durch welches Medium. Und wenn die Art der Erzählung und die Art wie ich sie aufnehme völlig neu und anders für mich ist, dann ist das etwas ganz besonderes, denn ich habe sehr viele Geschichten gelesen, gesehen und gehört.

„Alef-Thau“ ist anstrengende und kunstvolle Lektüre, die den aufgeschlossenen Leser mit einer extrem beeindruckenden Fülle kreativer Ideen belohnt. Obwohl ich zum Beispiel kein Fan von Arthouse-Filmen oder spiritueller Poesie bin hat mich das Werk von Arno und Jodorowsky überzeugt. Aber „Alef-Thau“ ist eigentlich besser für eine Interpretation geeignet, als für eine Rezension. Da meiner Meinung nach eine Fremdinterpretation nie den Wert oder die Intensität der eigenen Interpretation erreichen kann, darf ich jedem Leser der nun eher interessiert als verwirrt ist „Alef-Thau“ ruhigen Gewissens ans Herz legen.

Die insgesamt acht Originalalben sind bei Egmont in zwei wertigen und hübschen Gesamtausgaben im Buchformat erschienen, die erstmals die komplette Saga auf deutsch beinhalten.

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  • Alef-Thau Gesamtausgabe – Band 1 von 2
  • Autoren – Arno, Alejandro Jodorowsky
  • Einband – Hardcover
  • Altersempfehlung des Verlages – ab 14
  • Seiten – 208
  • Originaltitel – Alef-Thau Intégrale 01
  • Originalverlag – Delcourt
  • ISBN – 978-3-7704-3499-2
  • Alef-Thau Gesamtausgabe Band 2 von 2
  • Autoren – Arno, Alejandro Jodorowsky, Al Covial
  • Einband – Hardcover
  • Altersempfehlung des Verlages – ab 14
  • Seiten – 200
  • Originaltitel – Alef-Thau Intégrale 02
  • Originalverlag – Delcourt
  • ISBN – 978-3-7704-3502-9

Rezensionsmuster – Hardcover, zur Verfügung gestellt von Egmont – Herzlichen Dank!