Meine persönliche Erinnerung an die DDR ist als 1982er Jahrgang verschwommen. Ich erinnere mich daran, dass manchmal mein Onkel Kalle zu Besuch kam. Der war nett, hat komisch gesprochen und hatte ein komisches, kleines Plastikauto über dass sich immer alle lustig gemacht haben. Ich habe auch realisiert, dass Onkel Kalle immer ganz viele Geschenke bekommen und mitgenommen hat. Das fand ich ein bisschen ungerecht, verstehe ich heute aber. Schwamm drüber. Ich erinnere mich an einen Abend 1989, an dem die ganze Familie zusammensaß, die Leute im Fernsehen irgendetwas feierten und sich auf einmal in meiner Familie alle über Politik unterhielten, was eher ungewöhnlich war. Deutschland hatte also ein UPgrade erfahren, würde man heute sagen. Und um genau dieses UPgrade geht es in meinem neuen Review.

1988 – Ein Grenzübergang der DDR. Vor den Überwachungskameras des ehemaligen Ostdeutschland lösen sich einige Menschen völlig unvermittelt in Luft auf. Vier Jahre später lebt die ehemalige Rock-Legende Cosmo-Shleym in Californien und ist auf der fieberhaften Suche nach diversen mysteriösen Dingen oder Personen. Allen voran nach dem „Translokator“. Dieses Ding ist ein Mann. Oder Junge. Je nachdem wo wir uns zeitlich gerade befinden. Und sein Name ist Ronny Knäusel. Er war der erste und letzte Superheld der DDR. Der „Translokat“…

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Das UPgrade inhaltlich wiederzugeben oder zu rezensieren fällt nach dem ersten, 64 Seiten starken Band wirklich schwer. Obwohl ich mich jederzeit vortrefflich unterhalten gefühlt habe bleibt das UPgrade noch wenig greifbar. Auch wenn die Mischung aus deutscher Comic-Kunst in der Tradition des legendären Mosaik-Magazins und handwerklich erstklassigen, modernen Cartoon-Einflüssen meine Augäpfel laut „Hurra!“ schreien lasse. Ich habe offen gesagt noch wenig Ahnung wohin die Geschichte mich mitnehmen will. Und ich maße mir an zu vermuten – das liegt nicht an mir, sondern ist so gewollt. Am ersten Band „Wunder, Würfel, Weltfestspiele“ gibt es wenig zu verstehen, aber eine Menge zu erfühlen.

Zum Beispiel die zahlreichen Zeitebenenwechsel, die mich als Leser nicht nur durcheinanderbringen, sondern auch in ihrer Farbgestaltung, ihrem Sprachgebrauch und ihren kulturellen Anspielungen tolle kleine Zeitreisen fürs Gehirn sind. Oder die vielen psychedelischen Elemente, die nicht nur Reminiszenzen an die sechziger und siebziger Jahre sind und dem Teil von „Das UPgrade“ der in ihnen spielt. Nein, diese kunstvollen und grafisch beeindruckenden Sequenzen lockern und werten die optische Präsentation des großformatigen, gebundenen Buches nicht nur immens auf, sondern bewahren auch viel von ihrem Mysterium.

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Sie verzahnen Anekdoten, ausgegliederte Slapstick-Kurzgeschichten und Einblicke in mehrere Jahrzehnte deutscher Geschichte miteinander. So dass man nie final versteht was zum Teufel eigentlich passiert, aber auch nie das Gefühl bekommt bloß zusammenhangslose Unterhaltung vorgesetzt zu bekommen. Stattdessen kann man deutlich wahrnehmen, dass Ulf S. Graupner und Sascha Wüstefeld noch eine Menge mit ihren Figuren, ihrer originellen Welt und uns als Lesern vorhaben. Wie passend, das beide bereits für das Mosaik bzw. die Abrafaxe geschrieben und gezeichnet haben. Obwohl es im UPgrade deutlich wilder und gern auch mal frivoler zugeht. Bislang nur kurz thematisiert wird bislang die große Ernüchterung nach der Wende. Das geschieht eindrucksvoll durch den gealterten und völlig entfremdeten Ronny, der in seiner Plattenbauwohnung völlig ziellos verwahrlost. Ein spannender Aspekt den ich mir ganz persönlich in einem der nächsten Bände deutlich präsenter vorstellen könnte.

„Das UPgrade 1 – Wunder, Würfel, Weltfestspiele“ ist eine beispiellos charmante Zeitreise, auf der die Tugenden deutscher und europäischer Comickunst mutig entstaubt werden und mit modernen technischen Mitteln in völlig neuem Glanz erstrahlen. Dabei gelingt Sascha Wüstefeld die Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen Cartoon- und Animationsoptik des einstigen Klassenfeindes Amerika und genau dem schnörkellosen, deutschen Comicstil mit dem viele von uns nostalgische Erinnerungen verbinden. Den wir im direkten Vergleich mit aktuellen Produktionen aus den USA oder Frankreich aber wohl häufig als sehr unspektakulär und zweckmäßig empfinden würden. Cosmo Shleyms herrlich bescheuertes Denglisch und Ronnies ausgeschriebenes Sächseln verstärken den Eindruck einen aufwändig produzierten Animationsfilm zu schauen und kein Comicbuch zu lesen. Ich empfehle allen Genossen sich bei eine kalte Vita-Cola aufzumachen. Aber mischt das Zeug bloß nicht mit Schnaps, den Geschmack hält wirklich kein Mensch aus!

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  • Sascha Wüstefeld – Zeichner
  • Autor – Ulf S. Graupner
  • Einband – Hardcover
  • 64 Seiten
  • Preis – 20,00€
  • Format – farbig, 32 x 21 x 1 cm, 642g
  • ISBN: 9783864256684

Rezensionsexemplar – Hardcover, zur Verfügung gestellt von Cross Cult – Herzlichen Dank!

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