Fabien und Patricia erwarten ihr zweites Kind. Bereits in Brasilien, dem Heimatland seiner Gattin hat Fabien die diffuse Angst, sein Kind könne beeinträchtigt zur Welt kommen. Menschen mit Behinderung haben ihn stets verstört und verunsichert. Für eine bessere medizinische Versorgung seiner jungen Familie und wegen eines lukrativen Job-Angebotes für den werdenden Vater, verschlägt es die von der Sonne verwöhnten Weltenbummler zurück in Fabiens Heimat Frankreich. „Leider“ bewahrheiten sich seine Befürchtungen und die kleine Julia kommt mit dem Down-Syndrom zur Welt…

Wer hinter „Dich hatte ich mir anders vorgestellt…“ einen rührseligen Betroffenheits-Plot vermutet, wird schnell eines besseren belehrt. Hauptaugenmerk der entwaffnend ehrlichen Graphic Novel liegt auf den Ängsten und Vorurteilen der jungen Eltern selbst. Die mit der Trisomie 21 verbundenen Symptome und Beeinträchtigungen der kleinen Julia spielen dabei eine klar untergeordnete Rolle und beschränken sich meist auf recht sachliche, informative Schilderungen.

Das ergibt erstaunlich viel Sinn, wenn man sich nach und nach in die komplexe, verängstigte Gefühlswelt von Fabien mitnehmen lässt. Was zu Beginn für den außenstehenden Betrachter noch gefühlskalt und egoistisch erscheinen mag, wird zunehmend greifbarer und nachvollziehbarer. Junge Eltern sind oft nicht darauf vorbereitet, ihr Kind für den Rest ihres Lebens begleiten oder pflegen zu müssen. Sie hatten wohlmöglich Pläne und Träume, die sich mit Rücksicht auf den bedürftigen Familienzuwachs vielleicht nie mehr realisieren lassen können. Ist man gleich ein schlechter Vater, wenn dieser Schock und diese Hilflosigkeit zunächst verhindern, dass man sein Kind ins Herz schließt?

Mit weichen, freundlichen Bildern und genug Mut für wohldosierte, witzige Cartoon-Entgleisungen wie etwa einem „Hulk“-Wutanfall oder ähnlich bizarren Tagträumen des Künstlers beschreibt die autobiographische Graphic Novel den steinigen Weg, den die zunächst hilflosen Eltern zum Herzen ihrer Tochter zurücklegen müssen. Fabiens sehr rationale Erzählweise aus der ersten Person lässt jedem Leser genau das Maß an Distanz oder Nähe, das er selbst bereit ist zuzulassen. Rührselige Kitsch-Attacken und mahnende Zeigefinger bleiben dankenswerter Weise aus. Das führt dazu, dass dieses trotz allem sehr bewegende Buch sich jedes Mitgefühl ganz hart und ehrlich erarbeitet und optional auch genug Raum für Unverständnis bietet. Die Zahl derer, die am Ende von „Dich hatte ich mir anders vorgestellt…“ mit trockenen Augen, ohne ein Teil der Familie Toulmé geworden zu sein ihr Buch schließen werden, dürfte dennoch gegen Null tendieren.

  • Dich hatte ich mir anders vorgestellt…
  • Autor & Künstler – Fabien Toulmé
  • 248 Seiten
  • Broschiertes Softcover
  • 24,95€
  • Erhältlich bei Avant