Ingenieur Gepetto hat die ultimative Kampfmaschine entworfen. Der Roboter in Gestalt eines mechanischen, kleinen Jungen verfügt über ausgefeilte Waffensysteme, mit denen er in beachtlicher Geschwindigkeit ganze Legionen feindlicher Soldaten einäschern kann. Dass weiß die Gattin des Erfinders jedoch nicht und verstirbt tragisch daran, die Geheimwaffe in Abwesenheit ihres Gatten als Sexspielzeug zu gebrauchen. Fortan stolpert der ziellose, kleine Roboter durch eine feindselige, dreckige und verstörende Welt, begleitet von Jiminy Wanze, einem erfolglosem, versoffenem Schriftsteller, der in im blechernen Schädel des kleinen Pinocchio wohnt…

Noch vor seiner bissigen Religions-Satire „In God We Trust“ veröffentlichte der avant-Verlag einen weiteren Band des französischen Künstlers Winshluss. In der sehr freien Interpretation des klassischen Kinderbuchs von Carlo Collodi findet sich neben oft schockierend hartem Humor eine ganz klare Message: Der Mensch und alles, was er hervorbringt ist egoistisch, ausbeuterisch und böse. Obwohl Pinocchio keinerlei Wesenszüge mit sich bringt, keinen Willen und keine Sprache besitzt ist er dabei doch eine der ausgesprochen wenigen Figuren im bildschön aufbereiteten, großformatigen Band, für die man als Leser am Ende der knapp 200 Seiten keine Abscheu und keinen Ekel empfindet. Und das obwohl, wenn auch unbeabsichtigt, die meisten der unzähligen Todesopfer im Buch auf das Konto des niedlichen Kriegsroboters gehen.

Mehr als einmal führt Winshluss dabei seinen Lesern die Bigotterie der Unterhaltungsindustrie vor Augen, zitiert und ruiniert er Märchen, die der Großkonzern Disney sich zu eigen gemacht hat. Wenn die versammelten Tiere des Waldes darauf hoffen, einen Blick durch das Fenster der sieben Zwerge zu erhaschen, während diese ihr neu nominiertes Schneewittchen zu einer Fetisch-Party „überreden“, wird schnell klar, woher der Wind in „Pinocchio“ weht. Hier wird gesoffen, gerammelt, gemordet und missbraucht. In zunächst oft zusammenhangslos scheinenden und überwiegend wortlosen Comic-Episoden, deren Handlungsstränge zum Finale hin immer fester miteinander verflochten werden.

„Pinocchio“ von Winshluss ist ekelhaft, anstrengend und genial. Weil er uns schonungslos zeigt, wieviel Grausamkeit sich selbst hinter den Dingen verbirgt, die wir als harmlose Kindheitserinnerungen in uns tragen.


pinwin1miniPINOCCHIO
Autor & Künstler: Winshluss
192 Seiten
Hardcover
29,95€
Erschienen bei avant