Wesley Gibson ist ein rückgratloses Weichei ohne jede Fähigkeit zur Konfrontation. Jeden Tag lässt er sich von seiner Chefin erniedrigen, verbleibt in der unglücklichen Beziehung mit einem nymphomanem Flittchen von Partnerin und ist schlichtweg der Fußabtreter für jeden einzelnen Menschen, der ihm in seinem traurigem Leben begegnet. Das individuellste und gewagteste an dem Mitzwanziger-Hypochonder ist die Auswahl seines mittäglichen Sandwiches. Einen unverhofften Ausgang aus der traurigen Mittelmäßigkeit verschafft ihm jedoch eines Tages die gleichermaßen schöne wie gefährliche Fox, die Mitglied eines geheimen Syndikats von Superverbrechern ist. Sie offenbart Wesley, dass auch sein Vater einer dieser tödlichen Schurken war und kürzlich unter mysteriösen Umständen über den Jordan geschickt wurde. Dieses entscheidende Detail macht das kränkliche Milchgesicht unter einer einzigen Voraussetzung zum Erben eines unvorstellbaren Vermögens von 50 Millionen Dollar. Er muss lediglich ein harter, skrupelloser Killer werden und der Bruderschaft der Superschurken beitreten…

Wie so viele seiner Werke wurde auch „Wanted“ aus der Feder des schottischen Star-Autors Mark Millar in Hollywood verfilmt. Auch wenn der Action-Streifen mit Angelina Jolie, Morgan Freeman und „Professor X“-Darsteller James McAvoy für sich allein sicher zu unterhalten wusste, hat er nicht mehr als die Grundidee mit seiner Comicvorlage gemein. Und das hat seine Gründe. Obwohl Millar bekannt ist für ausschweifende, zynische Gewaltorgien erreicht wohl keine seiner Geschichten die vulgäre, überzogene Rohheit seiner Schurken-Saga. Wesley begibt sich auf einen Trip, eine Metamorphose in der vollkommen willkürliche Morde, rassistische und homophobe Witze und selbst Vergewaltigung so selbstverständlich sind wie Kaugummi kauen. So fällt es nicht schwer an Handlung und Stil des Buchs Anstoß zu nehmen, „Wanted“ überschreitet absichtlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit moralische Grenzen und erzählerische Konventionen. Man muss nicht unbedingt ein konservativer Mensch sein, um von „Wanted“ angewidert zu sein.

Allen Kontroversen zum Trotz ist die vor Blei und Blut nur so strotzende Gewaltorgie aber auch eine scharfsinnige Parabel über ein vermeintlich modernes, inhaltsleeres und anonymisiertes Leben, das zwischen Fernsehen, Fast Food und Konsum-Abstumpfung nicht einen Bruchteil des eigenen Potentials auslotet. Freunde der Comic-Kunst erhalten zudem eine spitzfindige Satire auf das Superhelden-Genre, das in keiner Sekunde mit Anspielungen auf die großen Helden und Schurken des Genres geizt.

Einen starken Magen, gute Medienkompetenz und eine gesunde Einstellung zu satirischer Überspitzung vorausgesetzt ist „Wanted“ ein modernes Meisterwerk und somit ein mehr als würdiger Auftakt für die gebundene Panini-Kollektion der größten Werke des vielseitigen Schotten. Man darf aber auch wirklich niemandem übel nehmen, den Titel ekelerregend und völlig daneben zu finden.


mmcwanted1miniWANTED (Mark Millar Collection Bd.1)
Autor: Mark Millar
Künstler: J.G. Jones
196 Seiten
Hardcover
19,99€
Erschienen bei Panini