Auf der Veranda eines ganz normalen Hauses in einer ganz normalen, amerikanischen Kleinstadt steht eines Morgens ohne jede Vorwarnung ein Körbchen mit einem Baby. Nur eine hastig auf einem Zettel notierte Nachricht hat der kleine Junge dabei: „Bitte habt ihn lieb“. Und das Städtchen lernt schnell den kleinen zu lieben. Denn Huck ist vielleicht auf den ersten Blick nicht die hellste Kerze auf der Torte, hat dafür aber ein Herz aus Gold und Muskeln aus Stahl. Fortan widmet der mit Superkräften gesegnete Tankwart jede freie Minute den anderen Menschen in seinem Leben, löst ihre Probleme und eilt ihnen wann immer er kann tatkräftig zur Hilfe. Da war es leider nur eine Frage der Zeit, bis das Licht der Öffentlichkeit diese perfekte kleine Welt ins Wanken bringt…

Erst kürzlich konnte Mark Millar, einer der zweifellos besten Autoren des Comic-Mediums einen weiteren, beispiellosen Erfolg für sich verbuchen. Alle seine Eigenkreationen, fernab seiner Arbeiten für die großen Heldenverlage Marvel und DC wurden Gegenstand eines gewichtigen Deals mit Videostream-Riese Netflix. Mit „Kick-Ass“ und „Kingsman – Secret Service“ konnte Millar die Verwertungsrechte von zwei seiner Franchises bereits lukrativ an große Hollywood-Firmen verkaufen. Nun soll der multimediale Siegeszug des Schotten also im turbulent expandierenden Video-On-Demand-Sektor weitergehen. Stünde ihm diese zur Verfügung, wäre der Verfasser dieses Artikels dazu geneigt, eine große Summe Geld darauf zu verwetten, dass Millars „Huck“ gleich die erste Produktion sein wird, die einen Millar-Comic auf die heimischen Streaming-Geräte bringt. Bereits seit längerem kursieren hartnäckige Gerüchte, dass „Magic Mike“- und „21 Jump Street“-Star Channing Tatum bereits für die Hauptrolle unter Dach und Fach sei. Warum?

Millars Stoffe sind in ihrer Reinform bereits „Kino zum Lesen“, würzen etablierte Erzählmuster der Traumfabrik dabei aber gekonnt mit dem oft tiefschwarzem Humor des Schreiberlings oder seiner stilsicheren Adaption zunächst unglaublich kitschig und billig anmutender Genre-Klischees. Wie etwa in „Kingsman“, gleichzeitig eine überzogene Parodie, aber auch leidenschaftliche Hommage an die Gadget-lastige Epoche von Film-Agent James Bond. „Huck“ bedient sich exakt dieser Stärken, erschließt sich dabei aber ein völlig neues und gemessen an bisherigen, oft von Gewalt und Grenzübertritten geprägten Millar-Themen erfrischend familienkompatibles Feld. In der Tradition des kitschigen „Feelgood“-Kinos erzählt der abgeschlossene Band die Geschichte eines superstarken „Rainman“, dessen grenzen- und bedingungslose Güte konzeptionell nah am Pixar-Zuckerschock liegt. Durch die Bilder von „Ei8ht“-Künstler Rafel Albuquerque gewinnt das Szenario aber unglaublich an Tiefgang und kann mit exzellentem Timing selbst abgebrühte Analysten gekonnt über die Tatsache hinwegtrösten, dass sie hier das Opfer gezielt-kalkulierter Gefühlsduselei werden sollen.

Seien wir doch mal ehrlich: Wenn das funktioniert und gut gemacht ist, dann haben wir das doch alle gern. Und „Huck“ ist verdammt gut gemacht.


HUCK: Held wider Willen
Autor: Mark Millar
Künstler: Rafael Albuquerque
164 Seiten
Broschiertes Softcover
19,99 Euro
Erschienen bei PANINI