Ein gleißendes Licht zerreißt die Grenzen zwischen den Dimensionen und katapultiert die halbe Bevölkerung von Philadelphia in eine feindseligen, zerfallenen Zerrspiegel unserer Welt. Hier ist der Mensch nicht länger die Spitze der Nahrungskette. Wer nicht frühzeitig als Zeischenmahlzeit einer gigantischen, monströsen Kreatur enden will, der bewegt sich besser lautlos zwischen den Trümmern der ehemaligen Zivilisation. Nur Nathan Cole will weiterhin Menschen aus dieser „Oblivion“ genannten Hölle zurück in unsere Welt holen. Denn unter den Verschollenen ist auch sein eigener Bruder…

„Oblivion Song“ ist eine kleine Sensation. Nicht nur, weil die neue Reihe aus dem Skybound-Verlag von Chef und „The Walking Dead“-Schöpfer, Robert Kirkman persönlich geschrieben wurde, sondern auch weil zeitgleich mit dem ersten, in der Regel knapp 30 Seiten umfassenden US-Heft dank Cross Cult bei uns in Deutschland schon ein stolze 144 Seiten starker Sammelband als schickes Hardcover in den Regalen steht. Endlich mal nicht jahrelang warten müssen, um mitreden zu können. Wer bei so vermeintlich „laxen internationalen Restriktionen“ nun eine Lizenzmüllentsorgung befürchtet, wie man sie neulich mit dem dritten Cloverfield-Film bei Netflix miterleben musste, der darf beruhigt aufatmen. Wer Kirkman mag, wer ihn für seine extrem greifbaren und vielschichtigen Charaktere schätzt, der wird sich nach den Horror-Dramen in „The Walking Dead“ oder „Outcast“ auch in „Oblivion Song“ sofort zuhause fühlen. Wer aber bislang nicht so recht damit warm werden konnte, dass Kirkman als Bühne für seine mitreißenden, zwischenmenschlichen Abgründe immer altbekannte Genre-Szenarien bemüht, für den hält auch die neue Reihe leider kein überraschendes Feuerwerk von Innovationen bereit.

Warum auch das Rad neu erfinden, wenn man das gute, alte „Familienmitglied in Paralleluniversum voller Monster verloren“-Konzept so herrlich inszeniert. Neben einem wirklich großartigem Twist und Cliffhanger am Ende des durchweg spannenden und unterhaltsamen Bandes betritt man vor allem mit der frischen Optik neue Pfade im Hause Skybound, die durchaus zu gefallen wissen. Lorenzo de Felicis dezent reduzierten, extrem lebendigen und dynamischen Stil würde man eher in einer Graphic Novel vermuten, als in einer amerikanischen Genre-Reihe. Schön, dass man hier nicht auf Nummer Sicher gegangen ist und zum generisch auf Hochglanz gebürsteten Superhelden-Look gegriffen hat. Ein vielversprechender Serienauftakt mit jeder Menge erzählerischem Potential.



OBLIVION SONG (Bd.1)
Autor: Robert Kirkman
Künstler: Lorenzo De Felici
144 Seiten
Hardcover
22,00 Euro
ERSCHIENEN BEI CROSS CULT