Der Wilde Westen war eigentlich die Heimat behaarter, Kautabak spuckender, ungewaschener, brutaler und natürlich stets dominanter Männer. Damen haben in Filmen, Büchern und auch Comics mit diesem Szenario eigentlich meist nur die Funktion einer Prostituierten oder einer Hausfrau und Mutter. Genau wie in den Köpfen rechtspopulistischer Politiker eben. „Mondo Reverso“ räumt gründlich mit diesem Bild auf, steckt bärtige, breitschultrige Hünen in Schnürkorsetts mit Strapses und lässt ungewaschene Damen mit offenen Hemden und tief ins Gesicht gezogenen Hutkrempen um die Wette ballern.

Im Geiste rotziger Underground-Comics der Siebziger und Achtziger bietet der überraschend ruppige Genderswap-Western vor allem jede Menge derbe, augenzwinkernde Momente, spritzendes Blut und reichlich blanke Geschlechtsmerkmale. Was zunächst wie eine Anthologie, eine nur thematisch zusammenhängende Sammlung kurzer Episoden wirkt, führt schnell die einzelnen Schicksale der Revolverheldinnen und der heißen Mannsbilder zusammen, um sie auch in dieser verkehrten Welt nicht nur gegen Viehdiebe und die gleißende Sonne, sondern eben auch gegen geschlechterspezifische Rollenklischees kämpfen zu lassen.

So sehr man all diesen grellen Wahnsinn auch lieben möchte – „Mondo Reverso“ präsentiert vor allem seine eigene Weltordnung, seine Prämisse. Toll angedeutete Charaktere haben insbesondere durch die späte Zusammenführung der Handlungsfäden nicht genug Zeit, sich vor den Augen des Lesers zu entwickeln. Diese Symptome spiegelt der Band auch in visueller Hinsicht wider. Hervorragende Nahaufnahmen in zweckmäßigen Sepia-Tönen könnten direkt aus einer Ausgabe des alt-ehrwürdigen „Métal Hurlant“ stammen, wecken mehr als einmal gar Assoziationen mit dem großartigen Richard Corben. Einstellungen aus größerer Distanz weisen deutlich weniger Details auf, wirken dabei manchmal sogar wie ein ganz anderer Stil oder Künstler.

Der erste Band des frechen Konzepts weckt allen Unzulänglichkeiten zum Trotz ganz klar die Neugier nach weiteren Geschichten. Nach mehr Tiefe, Komplexität und vielleicht auch nach größeren, gewagteren Extremen und Überzeichnungen. „Mondo Reverso“ hat tolle Ideen und ist ambitioniert, erreicht seine Betriebstemperatur aber trotz zotig-gemeiner Spannungsspitzen nie wirklich. Eine tolle Idee, die hoffentlich in kommenden Bänden kompromissloser und konsistenter ausgearbeitet wird. Dann könnte etwas Großartiges daraus werden.


Leseprobe


MONDO REVERSO (Bd.1) – Cornelia & Lindbergh
Autor: Arnaud Le Gouëfflec
Künstler: Dominique Bertail
96 Seiten
Hardcover
19,80 Euro
Erschienen bei SCHREIBER & LESER