Sir Reginald Hargreeves, der exzentrische Abenteurer und Ziehvater jener talentierten Kinder, die später als „Umbrella Academy“ die Menschen vor finsteren Mächten bewahren sollten, war ein verschlossener Mann. Vor seinem Ableben pflegte er vermeintlich gemeingefährliche Kriminelle eigenmächtig im „Hotel Oblivion“ einzuquartieren, einer Art Super-Knast, in den niemand ohne weiteres hineingelangen kann. Ganz zu schweigen davon, wenn man das gar nicht mal so gastliche Domizil wieder verlassen möchte. Eine Verkettung scheinbar zufälliger Ereignisse scheint die Pforten der Residenz aber nun zu öffnen. In beide Richtungen…

Um es gleich vorweg zu nehmen: Auch der dritte Band der mittlerweile durch die gleichnamige Netflix-Serie einem großen Publikum bekannten, dysfunktionalen Superhelden-Patchwork-Familie ist wieder ausgezeichnetes Comic-Vergnügen. Das Tempo und der Grad an überdrehten, extravaganten Ideen lässt zwar selbst leidgeprüfte Comic-Rezensenten wieder und wieder zurückblättern und Revue passieren, sorgt aber gerade durch seine hektische Dichte für ein ganz besonderes Flair und einen Mehrwert bei erneuter Lektüre. Gerald Way, Sänger und Kopf des inzwischen wiedervereinigten Rock-Phänomens „My Chemical Romance“ beweist bei der Ausarbeitung seiner psychedelischen Familiensaga bis in die kleinsten Statistenrollen große Hingabe, wovon man sich im umfassenden Bonusmaterial selbst überzeugen kann.

Auch Zeichner Gabriel Bá präsentiert seine deformiert-reduzierten und trotzdem dabei so ausdrucksstarken und dynamischen Figuren in Bestform und wirkt dabei, als sei seine persönliche die einzig zutreffende und richtige Art und Weise, die wirren Visionen seines Autoren zu visualisieren. Genau so sollte die Zusammenarbeit eines perfekt harmonierenden Comic-Kreativteams wirken, klasse.

Trotz der vielen ganz offensichtlichen Stärken hinterlässt „Hotel Oblivion“ aber auch Fragen. Warum erfahren wir so wenig neues über die kaputten Helden, die doch eigentlich die namensgebenden Hauptfiguren in der „Umbrella Academy“ sind, diesmal aber zwischen all den wilden neuen Charakteren beinahe zu Statisten verkommen? Warum verändern sich ihre Verhältnisse zueinander kaum. Ein erzählerischer Schwenk zur Seite kann ja Wunder wirken, aber nach dem letzten Band mussten die Leser stolze zehn Jahre warten. Hoffentlich ist der große Erfolg der Serien-Adaption Motivation genug für Herrn Way, sich neben seinen neuen Ambitionen als Rockstar auch regelmäßig um dieses Baby zu kümmern. Für den deutschen Markt hat Cross Cult als Weihnachts-Goodie bereits die Übersetzung des aberwitzigen Festtags-Special zu den sympathischen Psycho-Killern Hazel und Chacha angekündigt. Das ist doch schonmal was.


Leseprobe


UMBREALLA ACADEMY (Bd.3): Hotel Oblivion, Autor: Gerald Way, Künstler: Gabriel Bá, 192 Seiten, Hardcover, 22,00 Euro, Erschienen bei CROSS CULT