Auf dem Dachboden des alten Landhauses seiner Familie begegnet ein kleiner Junge einem unheimlichem, altem Mann. Der schauerliche Greis versucht ihn mit Schokolade in ein kleines Fenster zwischen zahlreichen alten Gemälden hineinzulocken. Es soll nicht die letzte Begegnung der beiden bleiben und im Laufe der Zeit bekommt man es nicht weniger mit der Angst zu tun, wenn die gespenstische Gestalt wieder auf den Plan tritt…

Auf Basis einer Kurzgeschichte von Fantasy-Bestseller-Autor Kai Meyer entstand dieses schauerliche Wintermärchen, dessen pfiffige aber auch sehr kompakte Idee wundervoll von den atmosphärischen, zeitlosen Malereien von Jana Heidersdorf getragen wird. Der Band spielt so ganz hervorragend mit der Illusion, dass handelnde Personen, Requisiten, die Geschichte selbst und eben die sehr analogen, tollen Bilder völlig zeitlos sind. Es ist nicht klar einzuordnen, ob die Handlung des „Speichermann“ in der Gegenwart oder vielleicht doch vor siebzig oder achtzig Jahren spielt. Das passt ganz wundervoll zur großen Pointe des düsteren Märchens, wird aber leider auch vom technisch einwandfreien, visuell aber eben doch sehr modern anmutendem Lettering unterbrochen. Auch wenn Handlettering eine komplexe, aufwändige und teure Sache ist, hätte sie in diesem speziellen Fall maßgeblich dazu beigetragen, das unheimliche Gefühl, es könne sich um ein ganz, ganz altes Buch handeln weiter zu unterstreichen und zu unterstützen.

Von diesem kleinen Haar in der Suppe einmal abgesehen ist der „Speichermann“ eine stimmungsvolle, ganz klassische Gruselgeschichte mit einem etwas vorhersehbarem aber dennoch unverbrauchtem und schönem Twist. Der großartige, zeitlose Ansatz und der psychologische Grusel, der ganz auf plakative Gewalt verzichtet sorgen zudem dafür, dass dieses herrlich eigenständige Buch gleichermaßen jung und alt gruseln und begeistern kann.


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DER SPEICHERMANN, Autor: Kai Meyer, Künstler: Jana Heidersdorf, 72 Seiten, Hardcover, 18,00 Euro, Erschienen im SPLITTER VERLAG