Erst kürzlich feierte der kroatische Künstler Danijel Zezelj die erste deutsche Übersetzung eines seiner Comic-Titel im Marbuger Verlag „Insektenhaus“. Die grotesk kontrastreichen, zwischen fotorealistischer Genialität und extrem reduzierter Tontrennung oszillierenden Tuschemalereien in seiner modernen „Rotkäppchen“-Fassung (vorgestellt im POW-Podcast) hinterließen bereits einen bleibenden Eindruck. Ganz ohne Worte lassen seine extremen Perspektiven, sein Spiel mit unserer Wahrnehmung, der Idee, was sich in den Details seiner Rorschach-artigen Bildwelten verbirgt einen unglaublichen erzählerischen Sog entstehen. Das alles klingt viel komplexer und schwerer verständlich, als es ist. Auch ohne jegliche Kenntnis kunsthistorischer Details sieht der aufgeschlossene Betrachter bereits nach wenigen Sekunden das dynamische Wabern, das die unvergleichliche Faszination an Zezeljs Bildern ausmacht, das jede Sekunde den Eindruck entstehen lässt, die wilden, dicken Pinselstriche erwachten gleich zum Leben.

Da ist es wenig verwunderlich, dass nach der ganz ohne Text präsentierten Grimm-Adaption auch „Niemand außer dir“ mit sehr wenig Text auskommt. Neben so einem so starkem visuellem Ausdruck könnte dieser ohnehin nie mehr als eine bescheidene Begleitung sein. Als Ausgangspunkt für seinen „Brief aus dem Leichensack“, wie es im Pressetext so treffend heißt, wählt der Künstler ein Gedicht des jung verstorbenen, avantgardistischen Poeten Daniil Charms, das ganz offensichtlich Inspiration und Ankerpunkt für den Plot ist, der hier als Leinwand für die breite Palette an Empfindungen und Erinnerungen dient. Der sprichwörtliche Film seines Lebens, der kurz vor seinem Ableben noch einmal an den Augen eines Soldaten vorüberzieht, den er als letzten Brief mit seiner Schwester teilen und ihr ein paar letzte Empfindungen und Ratschläge mit auf den Weg geben möchte.

Was so schwer, sperrig und deprimierend klingt, ist zwar sicher keine leichte Unterhaltung, trägt aber allen dramatischen Wendungen zum Trotz viel zu viel Schönheit und Zuversicht in sich, um einfach nur zu deprimieren oder plump dem Leser Betroffenheit abringen zu wollen. Und die Wahrnehmung der Bilder und Worte in „Niemand außer dir“ fällt je nach Betrachter viel zu individuell und deshalb verschieden aus, als dass man dem Buch in einer objektivierten Rezension gerecht werden könnte. Dass genau das aber der Inbegriff von Kunst ist, liegt ganz klar auf der Hand. Genau wie Danijel Zezeljs beeindruckende Fähigkeiten, extrem komplexe Gefühle mit auf den ersten Blick nur grob skizzierten, auf den zweiten Blick aber unfassbar detaillierten Tuschestrichen zu transportieren.


NIEMAND AUSSER DIR, Autor & Künstler: Danijel Žeželj, 72 Seiten, Hardcover, 14,90 Euro, Erschienen im INSEKTENHAUS VERLAG