Hohe Arbeitslosigkeit, viel Kriminalität und die Prohibition prägen das Leben der Amerikaner in den Dreißiger Jahren. Das sorgt dafür, dass die Unterwelt mehr und mehr aufblüht. Nur wenige stellen sich dem kriminellen Genie Norman Osborn in den Weg. Anders der junge, stürmische und zumeist aufmümpfige Peter Parker. Er zeigt keine Angst vor dem einschüchternden Oberhaupt und würde ihm und seinen Schergen am liebsten selbst das Handwerk legen. Als er dann von einer Spinne gebissen wird und übermenschliche Kräfte erhält, legt er eine Verkleidung an, schnappt sich eine Knarre und durchstreift als Rächer namens „Spider-Man“ die dunklen Gassen.
In dieser Sammlung befinden sich alle Solo-Auftritte des bewaffneten Draufgängers bis ins Jahr 2020 chronologisch sortiert. Das Herzstück bilden dabei die ersten beiden Mini-Serien „Spider-Man Noir“ und „Spider-Man Noir: Eyes without a Face“. Der Vollständigkeit halber sind außerdem drei Hefte abgedruckt, die jeweils den Anfang einer Story aus dem komplexen Spiderverse erzählen. Darin treffen verschiedenste Versionen des berühmten Titelhelden aufeinander, um gemeinsam das Böse zu bekämpfen. Als einzelne Kapitel geben diese kurzweiligen Ausflüge aber nur einen sehr rudimentären Einblick in die damit verbundene Multiversen-Thematik.
Die Anfangskapitel, geschrieben von David Hine und Fabrice Sapolsky, erzählt, wie oben angerissen, die Herkunft dieser ungewöhnlichen Spinnen-Version. Dabei gelingt es dem Kreativteam erzählerisch und optisch das namensgebende Genre hervorragend einzufangen. Düstere vernebelte Gassen, verruchte Etablissements, geheimnisvolle Frauen und harte Draufgänger. Es ist also alles vorhanden, was der Noir-Fan braucht, um sich wohlzufühlen. Hinzu kommt eine kreative Variante der Origin-Story. Dafür lehnt sich das Autorenpaar an die bekannte Erzählung an, dreht aber an einigen Schräubchen, so dass sich letztendlich alles in eine andere, neue und vor allem interessante Richtung entwickelt.
Die zweite abgedruckte Mini-Serie knüpft direkt an und spinnt im selben atmosphärischen Setting ein weiteres Abenteuer. Diesmal dreht sich alles um den Rassismus auf den Straßen Amerikas, während in Deutschland die Nazis an Macht gewinnen. Der große Antagonist ist ein für das außergewöhnliche Szenario angepasster Doctor Octavius. Eine hervorragende Fortführung, die den Leser noch weiter in die Welt des Noir-Spider-Man eintauchen lässt.
Der Löwenanteil der Bilder stammt von Carmine DI Giandomenico. Auf den ersten Blick scheinen die Zeichnungen des Italieners wirr und ungewohnt. Das Auge braucht ein wenig Übung, Umrisse und Figuren richtig zu erfassen, da der Künstler lediglich auf sehr recht dünne Outlines setzt und gleichzeitig viele Details einbringt. Wer sich aber einmal „reingeguckt“ hat, wird mit einem tollen Leseerlebnis belohnt, das in Kombination mit der düsteren Farbgebung gekonnt die passende Stimmung erzeugt.
Die „Spider-Man Noir“-Collection ist etwas für jeden, der düstere „Hardboiled“-Krimis genießen kann und Lust auf eine alternative Version des Marvel-Superhelden hat. Gesammelt in einem hochwertigen Hardcover macht es sich auch gut im sortierten Comic-Regal. Neben Peter Parker haben damals auch viele andere Helden eine Noir-Geschichte bekommen. Dazu gehören Daredevil, die X-Men, Wolverine, der Punisher, Luke Cage und Iron Man. Es gibt also Hoffnung, dass diese Reihe noch erweitert wird. Aber erst mal viel Spaß mit der unfreundlichen Spinne aus der dunklen Gasse.
SPIDER-MAN NOIR COLLECTION, Autor: David Hine, Fabrice Sapolsky, Roger Stern, Künstler: Bob McLeod, Carmine Di Giandomenico, 260 Seiten, Hardcover, 36,00 Euro, Erschienen bei PANINI