Wir finden uns während der 1920er in einem Dorf in der kanadischen Provinz Quebec wieder. An diesem eigentlich ruhigen und friedlichen Plätzchen war im letzten Jahr ziemlich viel los. Zuerst zog ein neuer Pfarrer her, um seinen verschiedenen Vorgänger zu ersetzen. Danach verstarb Maries Mann, der den kleinen Laden des Dorfes führte und nun obliegt es ihr alleine das Geschäft aufrecht zu erhalten. Dann kam ein Fremder ins Dorf, eröffnete ein Restaurant und lebte unpassender Weise bei der trauernden Witwe. Langsam wird es im Dorf unruhig. Warum haben die beiden noch nicht geheiratet? Wenn sie schon unter einem Dach leben, sind sie doch auch ein Paar, oder nicht?

2013 kamen Jean-Loui Tripp und Règis Loisel auf die Idee, gemeinschaftlich ein Atelier in Montreal zu beziehen. Loisel arbeitete an dem dritten Band von „Peter Pan“ und Tripp an „Paroles d’Anges. Beide mussten feststellen, dass die gemeinsame Arbeit nicht nur ihre Freundschaft festigte, sondern auch, dass die Kunst der etablierten Comic-Schaffenden gut zueinander passte. Die beiden entschlossen sich dazu, zusammen ein neues Projekt anzugehen. So ist die Idee für „Das Nest“ entstanden. Aus den ursprünglich sechs angedachten Veröffentlichungen wurden neun. Diese feierten große Erfolge, so das auch im Deutschen die einzelnen Alben seit langer Zeit vergriffen sind. Jetzt sind die ersten zwei von drei geplanten Sammelbänden erschienen, in denen die Geschichten neu aufgelegt werden und somit wieder für jedermann erhältlich sind.

Im Mittelpunkt steht die kleine Dorfgemeinschaft irgendwo in Kanada. Vor diesem Hintergrund werden hauptsächlich Alltagsthemen und die Emanzipation der Hauptfigur inmitten dieser zu großen Teilen konservativen Gemeinde behandelt. Die Künstler erzählen sehr unaufgeregt, haben dabei aber ein wunderbares Auge für Details, was das klischeebehaftete Dorfleben angeht. Gerüchte machen innerhalb kürzester Zeit die Runde, jeder kennt jeden, aber es ist auch zumeist jeder für den anderen da. Auch ihr Gespür für gut gesetzte Pointen sorgt regelmäßig für das ein oder andere Schmunzeln, bis hin zum lauten Auflachen beim Schmökern.

Untermauert wird all das von ihren wunderbar harmonischen Bildern. Sie machen schnell klar, dass sie verstanden haben, worauf es beim Comic ankommt. Vieles in der Story läuft rein visuell ab. Sprechblasen werden nur dann genutzt, wenn diese wirklich notwendig sind. Mit zurückhaltenden Farben und Figuren, die manchmal eher einer Karikatur ihrer Rolle gleichen, treffen sie den Geist dieser Erzählung perfekt.

Das Nest“ ist ein Titel der Seite für Seite genossen werden sollte. Wenn man einen ruhigen Leseabend mit einer unterhaltsamen, geistreichen und gemütlichen Graphic Novel verbringen möchte, ist man hier auf jeden Fall gut bedient. Wer auf dem Land lebt, wird vermutlich noch einen Hauch mehr Spaß an dieser Reihe haben, gibt es doch viele Situationen, die einem dann aus dem eigenen Leben sehr bekannt vorkommen.


Leseprobe


DAS NEST – Gesamtausgabe (Bd.2), Autoren & Zeichner: Jean-Louis Tripp, Régis Loisel, 60 Seiten, Hardcover, 36,00 Euro, Erschienen bei CARLSEN