Der Gedankenpalast ist eine Memo-Technik, bei der man sein Gedächtnis in Räume einteilt. In jeden legt man Erinnerungen, Erkenntnisse oder andere Geistesblitze ab, um diese später geordnet wieder zu finden. Ein Meister dieses Vorgehens ist der unübertroffene Privat-Detektiv Sherlock Holmes. Auf diese Art und Weise löste er schon Hunderte Fälle, die sein Assistent und Freund Dr. Watson allesamt mitschrieb und in Romanform veröffentlicht. Nur gerade ist Flaute bei der gewitzten Spürnase und er langweilt sich auf seinem Sofa. Bis ein älterer Herr an der Tür klopft. Dem Aussehen nach zu urteilen ist ihm die letzte Nacht allerhand passiert, er kann sich aber an nichts erinnern. Außer daran, dass er eine besondere Theater-Aufführung besucht hat.

Fans der berühmten Roman-Figur durften das letzte Jahr über beobachten, wie dieser Band immer wieder verschoben wurde. Jetzt ist er aber endlich da und schnell wird klar, wo die ganze Arbeit hineingeflossen ist. Dieses Werk ist ein optischer Hochgenuss. „Im Kopf von Sherlock Holmes“ ist nicht nur der Titel des Werks, sondern auch ein maßgebliches Konzept der visuellen Gestaltung. Regelmäßig wechselt die Ansicht und zeigt in aufwendigen, kleinteiligen Zeichnungen die Gedankengänge des Protagonisten. Neben diesen opulenten Bildern gibt es aber auch viele Feinheiten, die das Lesen zu einem Genuss machen. So zieht sich zum Beispiel ein buchstäblicher roter Faden durch alle Bilder, der die Leserichtung und den Fortschritt des Kriminalfalls visualisiert. Komplettiert wird all das durch immer wieder aufkommende Aufforderungen, Seiten zu falzen, gegen das Licht zu halten oder auszuklappen. So wird das Lesen dieses Buches zu einem einzigartigen Erlebnis.

Inhaltlich erhält man eine solide Story inmitten von „ Good Old London“, in der das stichelende Wechselspiel zwischen Holmes und Watson genau so Platz findet wie die eine oder andere Wendung und Verfolgungsjagden quer durch die britische Hauptstadt. Was das Kreativteam aus Cyril Lieron und Benoit Dahan hier geschaffen hat, ist ein Comic-Meisterwerk, das dieses Medium auf allen Ebenen auskostet und beweist, wie viel Spaß man mit der neunten Kunst haben kann. Ein absoluter Top-Titel, der in keinem gut sortiertem Comic-Regal fehlen sollte.


Leseprobe


IM KOPF VON SHERLOCK HOLMES: Das Rätsel der skandalösen Eintrittskarte, Autoren: Cyril Lieron, Benoit Dahan, Künstler: Benoit Dahan, 96 Seiten, Hardcover, 28,99 Euro, Erschienen im SPLITTER VERLAG