Der kleine Jaybird lebt allein mit seiner kranken, bettlägerigen Mutter in einem großen, düsteren und bedrückenden Haus. Alle Fenster sind vernagelt, kein einziger Sonnenstrahl dringt in das staubige, alte Gemäuer. Denn draußen, so hat Jaybirds Mutter ihm gesagt, da lauern die bösen Vögel. Vögel die nur darauf warten, ihm seine Augen auszupicken. So besteht der Alltag des kleinen Blauhähers allein darin, seine Mutter zu versorgen und verzweifelt zu versuchen Herr über seine zahlreichen Ängste zu werden.
Jaybird ist eine bildgewaltige und bedrückende, psychologische Studie über Isolation und über die Entstehung von Angst und Gewalt. Das mag man kaum glauben, beim ersten Blick auf den unglaublich putzigen Hauptcharakter. Vielleicht ist es gerade dieser extreme Kontrast zwischen kariös süßer Kinderbuchoptik und dem extrem verstörenden, oft an die Welten von Schauerregisseur Tim Burton erinnernden Szenario, der den Leser so intensiv mit Jaybird leiden und fürchten lässt.
Ein Comic, der mit so wenig Worten auskommt und außerdem auch noch sehr sequentiell, fast wie ein Trickfilm aufgebaut ist läuft schnell Gefahr, schnell durchgeblättert zu werden und in Vergessenheit zu geraten. Dem kann man als Künstler nur mit außergewöhnlicher Optik entgegenwirken, die einlädt in allen Ecken und Winkeln nach Details zu suchen. Mit Bildern, die einem genug bieten um sie auf sich wirken lassen zu können und idealerweise auch zu müssen. „Jaybirds“ wachsende Verzweiflung, die skurrile Freundschaft, die sich zu einer kleinen Spinne entwickelt und nicht zuletzt die entsetzliche Auflösung des am Ende des Bandes zum zerreißen gespannten Handlungsbogens fühlen sich unglaublich intensiv und nachvollziehbar an.
Künstler Lauri Ahonen meistert diese Königsdisziplin mit Bravour und illustriert die deprimierende Gedankenwelt seines Bruders Jaako intensiv und mit sichtbar viel Liebe. Die finsteren Panels werden von weichen Farbstiften zum Leben erweckt, die mit chirurgischer Präzision gesetzten, ruhigen Linien schattieren, statt deutlich schneller zu realisierende Schraffuren zu verwenden. Das verleiht „Jaybird“ den Eindruck, ein extrem aufwändiges Kinderbuch zu sein, dass wenig lebensbejahende und liebende Eltern abends ihren Sprösslingen vorlesen könnten. Das würde auch die kommende Generation schnell von der Überflüssigkeit des Seins überzeugen.
„Jaybird“ ist ein außergewöhnliches und wunderschönes Buch. Selten habe ich der Mimik eines Comic-Charakters so viel entnehmen können, habe ich eine derartige Ausdruckstärke gesehen. Nicht umsonst wurden die finnischen Brüder mit dem italienischen „Lucca-Award“ ausgezeichnet und sogar für den heiß begehrten, internationalen „Eisner-Award“ nominiert. Textzentrierte Leser sollten „Jaybird“ vielleicht vorher einmal probelesen. Aber wer einen Comic genießen kann und will, oder sich für düstere, morbide Geschichten begeistert, für den führt überhaupt kein Weg an „Jaybird“ vorbei.
- Autor – Jaako Ahonen
- Künstler – Lauri Ahonen
- Seiten – 128
- Format – Hardcover
- Preis – 19,95€
- ISBN – 978-90-89820-94-5
„Jaybird“ ist erhältlich bei Erko