Gemeinsam mit seinen treuen Gefährten durchstreift Sir Henry Baltimore weiterhin eine feindselige Welt zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Anders als in der Realität ist es aber nicht „nur“ der erste Weltkrieg, der seine schäbigen Spuren auf der leidgeplagten Menschheit hinterlassen hat. Im Schlagschatten von Verwüstung, Zerstörung und Seuchen hat das uralte, reine Böse nahezu unbemerkt wieder seinen Weg in unsere Welt gefunden. Vampire, Werwölfe, Widergänger, Hexen, Geister und allerlei anderes folkloristisches Ungetüm sucht die frommen und abergläubischen Menschen jener Epoche nun heim. Niemand weiß das besser als der ehemalige Soldat Baltimore, der seine geliebte Familie an den brutalen Vampirfürsten Haigus verlieren musste. Viele Jahre sind nun vergangen, treue Gefährten gestorben und dafür neue an die Seite des mürrischen Monsterjägers mit dem Holzbein getreten. Allen Widrigkeiten zum Trotz müssen sie sich ihrer letzten, tödlichen Prüfung stellen: dem ultimativen Bösen in Gestalt des roten Königs, der ein leider all zu bekanntes Gesicht trägt…

Allen großartigen Momenten und der epischen Gothic-Action zum Trotz kann das Finale der stylischen Grusel-Reihe ein paar kleine Makel nicht leugnen. Auch wenn Peter Bergting, der die letzten drei Kapitel von „Baltimore“ illustrierte insgesamt sehr gute Arbeit abliefert, die sich nicht zuletzt dank Farb-Magier Dave Stewart und seiner Nachfolgerin Michelle Madsen auch schön ins Gesamtwerk fügt: Er ist kein Ben Steinbeck. Und das fällt von den vorherigen drei Vierteln der Saga verwöhnten Augen eben auf. Auch der doch recht vorhersehbare Blockbuster-Abschluss der Reihe ist für sich tolle Comic-Unterhaltung, fällt gegenüber dem deutlich gemächlicherem und eleganter erzähltem Weg hierher aner wahrnehmbar ab. Sieht man über dieses für amerikanische Comic-Reihen nicht unübliche Phänomen hinweg, dann ist „Baltimore“ ein herausragendes Meisterwerk, dass sich keineswegs als müde Hellboy-Variante bezeichnen lassen muss.

Natürlich ist die meisterliche Handschrift von dessen Schöpfer Mike Mignola auch in Lord Baltimores bitterer Odyssee unverkennbar. Trotz ähnlicher Anleihen an traditionelle Schauermärchen beziehungsweise hier eher an englische Gothic-Novels und andere Literaturklassiker hat die ursprünglich 41 Einzelausgaben starke Heft-Serie ihren ganz eigenen, etwas raueren und dafür weniger metaphorisch-poetischen Charme. Ein Hauch „Indiana Jones“ weht durch die respektablen 560 Seiten dieses zweiten „Ziegelsteins“ aus dem Hause „Cross Cult“. Abenteuerliche Erkundungen von alten Schlössern, Grabstätten oder den Verstecken von sinistren Hexenzirkeln fühlen sich eben komplett anders an, als die Ermittlungen von Hellboys Arbeitgeber, der „BPRD“. Auch wenn eine große Ähnlichkeit in der Ästhetik so beabsichtigt wie willkommen ist.

Freunde von Grusel, Fantasy und Abenteuer sollten sich die großartige Reihe auf keinen Fall entgehen lassen, auch wenn der auf den ersten Blick vielleicht etwas hohe Anschaffungspreis von je 50 beziehungsweise insgesamt 100 Euro vielleicht zunächst abschreckt. Wer bei Versandriese Amazon die einzelnen acht Volumes in der englischen Originalfassung bestellt, der bezahlt aktuell mit mehr als 170 Euro radikal mehr und büßt zudem den nicht zu unterschätzenden Coolness-Faktor des dicken, schweren Buches mit stilechtem Lesebändchen ein. Dank der dezenten, aber wirklich nicht störenden oder wahrnehmbaren Verkleinerung des Orginalformates sind die Wälzer außerdem auch prima lesbar und gar kein Vergleich zu schlimmen, großformatigen Omnibus-Softcover-Verbrechen.

So gut, dass man danach den Mond anheulen möchte.



BALTIMORE (Bd.2)
Autoren: Mike Mignola, Christopher Golden
Künstler: Ben Stenbeck, Peter Bergting
560 Seiten
Hardcover
50,00 Euro
ERSCHIENEN BEI CROSS CULT