Philosophie als auch ihre Protagonisten wirken oft leicht eingestaubt im Regal der historischen Figuren und machen eine spannende ideengeschichtlich-biographische Erzählung schwer. Wie kann man von einem Leben erzählen, das zwei Weltkriege, Flucht durch Europa, journalistische Arbeiten und politischen Kampf sowie philosophische Ideenentwicklung enthält? Ken Krimstein versucht, Ideen, Geschichte und das Leben von Hannah Arendt in seiner Interpretation zum Leben zu erwecken.
Im ersten Teil geht es um Hannah Arendts Kindheit, ihre erste Ehe, ihr Studium und ihre Beziehung zu Martin Heidegger, die vergleichsweise viel Platz einnimmt. Sie wurde 1906 geboren und wuchs in Königsberg auf, die Heimatstadt eines weiteren großen Philosophen: Immanuel Kant. Arendt war als kleines Kind bereits so neugierig alles über die Welt herauszufinden, dass sie seine Werke bereits mit 14 gelesen hatte. Die lebensfrohe Arendt begegnet in Kindesjahren erstmals antisemitische Anfeindungen anderer Kinder.
Im zweiten Teil wird die Flucht Arendts nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland thematisiert. Diese führt sie über Tschechien, Italien, der Schweiz bis hin nach Frankreich. Dort genießt sie zwar das intellektuelle Leben in den Cafes, was durch die Skizzen von Künstlern, Musikern, Malern und Filmemachern dargestellt wird. Sie beobachtet aber mit Sorge die Entwicklung hin zum zweiten Weltkrieg. Die Nationalsozialisten besetzen Paris und Arendt wird für mehrere Wochen inhaftiert. Sie fliehen Richtung Süden, um Freunde zu treffen und will über Portugal in die USA. Das dritte Leben beginnt nach der Ankunft in New York. Ihr Buch über den Totalitarismus wird veröffentlicht. Ein abschließendes Kapitel schildert die Ereignisse nach Veröffentlichung ihrer Arbeiten der „Vita activa“, nach der Verhaftung Adolf Eichmanns, ihrer Berichterstattung in „Banalität des Bösen“. Durch dieses kürzere Kapitel werden einige Verknüpfungen ihrer Ideen deutlich, die zuvor nur angedeutet wurden und ihre Ausarbeitungen und Gedankengänge werden deutlicher ausgeführt.
Ken Krimstein ist Cartoonist und Karikaturist beim „New Yorker“, „Punch“ und dem „Wall Street Journal“. Er möchte Karikaturen mit historischem Interesse verbinden. Die karikatur-esken Bilder sind vielseitig. Von realistischen und detailreichen Zeichnungen bis zu skizzenhaften Bruchstücken folgen wir den einzelnen Episoden der Protagonistin. Einige Seiten werden in klassischer Panelaufteilung erzählt, wo Bild an Bild die Entwicklung der Situation geschildert wird. Diese sind dann eher grobe Karikaturen und Skizzen. Auf anderen Seiten werden Gesichter oder ganze Körper detailreich und realitätsnah gezeichnet. Dieser Kontrast schafft ein abwechslungsreiches Leseereignis durch die Episoden. Das Buch enthält neben einem Epilog auch ein Nachwort des Autoren, Danksagungen und ein ausführliches Quellenverzeichnis. Sie ist bereits in der 5. Ausgabe und wurde 2018 als beste Graphic Novel ausgezeichnet.
Jede Person soll sich mit Philosophie auseinandersetzen können, so der Anspruch des Autors. Mit etwas nebulös in fragmentarischen Dialogen vorkommende Thesen der Philosophen wird Krimstein diesem Anspruch nicht ganz gerecht. Das Werk kann durch seine Skizzenhaftigkeit Interesse an mehr wecken, stellt aber keine Einführung in ihr philosophisches Werk oder keine eigenständige Biografie dar. Es wird in einer Abschlussbemerkungen noch angemerkt, dass es sich um eine Interpretation handelt, was man deutlich spürbar ist. Während die Suche nach Wahrheit eine groß wirkende Frage zu sein scheint, bleiben die konkreten Ideen und Thesen nur vage angedeutet.[1]
Daher kann diese Interpretation Interesse wecken. Sie kann Appetit auf eine Biografie machen, in der die Lebensphasen, das philosophische Interesse und das Engagement einer Philosophin zur Geltung kommen. Vor allem aber für Kinder und Jugendliche oder einfach für Neulinge und Einsteiger*innen der Philosophie schafft die Graphic Novel einen humorvollen und spannenden Einstieg in eine ereignisreiche Epoche der Philosophie durch die umso mehr lebensfrohe Hannah Arendt.
[1] Was sind die Elemente totalitärer Herrschaft? Was ist politisches Handeln? Was ist das Wesen einer Revolution? Wie lässt sich öffentliches und privates unterscheiden? Wann handeln Menschen gut oder böse? Was ist überhaupt das Böse? Was ist Wahrheit? Was ist Pluralität? Spielt der Tod eine größere Rolle als die Geburt für unser Leben? Wie lassen sich handeln, arbeiten und herstellen unterscheiden? All diese Fragen stehen in gewisser Weise für die Interessen Hannah Arendts.
DIE DREI LEBEN DER HANNAH ARENDT, Autor & Zeichner: Ken Krimstein, 244 Seiten, Softcover (broschiert), 16,90 Euro, Erschienen bei dtv