„Metroidvanias“ sind eines der beliebtesten Genres bei den immer beliebteren modernen Spielen mit Retro-Präsentation. Der Name setzt sich aus den beiden Ideenstiftenden Spielereihen „Metroid“ und „Castlevania“ zusammen, die sich beide irgendwann in ihrer Historie vor allem damit beschäftigten, große 2D-Gewölbe zu erkunden und dabei immer neue Fähigkeiten wie etwa höhere Sprünge freizuschalten, mit denen man Hindernisse überwinden und neue Areale betreten konnte. Heute buhlen Titel wie „Hollow Knight“ oder „Ori and the Blind Forest“ um die Gunst virtueller Höhlenforscher, die Blütezeit der Castlevania Reihe verdanken wir Kult-Designer Koji Igarashi.
Als „Iga“, wie er von seinen Fans genannt wird vor fünf Jahren verkündete, er wolle ohne seinen ehemaligen Arbeitgeber und Castlevania-Lizenzgeber Konami an einem Quasi-Nachfolger des legendären „Symphony of the Night“ arbeiten, war die Sensation perfekt. Bis heute gilt das ursprünglich auf der ersten PlayStation erschienene Spiel als eines der besten 2D-Spiele aller Zeiten und als nahezu perfekter Prototyp für das heutige Metroidvania-Genre. Natürlich musste der kauzige Japaner auf Kickstarter nicht lang bitten, bis er die ursprünglich angedachte Produktionssumme weit überschritten hatte. Auch wenn mit „Bloodstained – Circle of the Moon“ ein tolles 8-Bit-Retrospinoff mitproduziert wurde, ließ die extrem lange Wartezeit und die Einbindung diverser Partner für Entwicklung und Vertrieb lange nicht darauf hoffen, dass man den hohen Erwartungen der Fans am Ende gerecht werden würde. Tatsächlich sehen viele Unterstützer auf Kickstarter, die dem Projekt finanziell überhaupt erst auf die Beine halfen nun in die Röhre. So berichten diverse Backer, dass sie auch heute, einige Wochen nach dem offiziellen Verkaufsstart noch immer das Spiel nicht in den Händen halten, so wie ganz reguläre Käufer, die ihr Geld nicht schon vor Jahren hergegeben haben. Das ist wirklich nicht die feine englische Art.
Es gibt weitere Relikte etwas chaotischer Produktionsumstände. So finden sich in der Übersetzung der deutschen Bildschirmtexte permanent nicht korrekt getrennte Wörter und bleibt die Version für die Nintendo Switch weit hinter ihren technischen Möglichkeiten zurück. Das wirkt wie eine schnelle Detailreduktion, um den Code nicht aufwändig anpassen zu müssen. Bei insgesamt 5,5 erwirtschafteten Millionen Dollar, obwohl man eigentlich nur eine halbe wollte, hätte man sich diese Zeit aber durchaus nehmen dürfen. So katastrophal wie viele Rezensenten und Fans die Version machen ist sie allerdings auch nicht. Reduzierte Grafikdetails, eine niedrigere, aber konstante Bildwiderholrate und eine geringere Auflösung sind im direkten Vergleich mit etwa der PS4-Fassung schade, machen die Switch-Version aber nun wirklich nicht unspielbar, das ist Quatsch. Trotzdem ist es schön, dass der Entwickler bereits ein Einsehen hatte und nun alle zur Verfügung stehenden Ressourcen zur nachträglichen Optimierung der Version nutzen will. Die folgenden Ausführungen beziehen sich aber vor allem auf die PS4-Passung, mit der wir trotz der fehlenden Option mobil zu spielen schon rein technisch deutlich mehr Spaß hatten, das will ja niemand leugnen.
Lassen wir das berechtigte Gemecker also mal hinter uns und widmen uns der noch immer im Raum schwebenden Frage: Ist „Bloodstained – Ritual of the Night“ tatsächlich ein würdiger Nachfolger für das großartige „Castlevania – Symphony of the Night“?
Auf jeden Fall.
Trotz 3D-basierter Grafik bietet der Titel eine hübsche, stimmungsvolle 2D-Optik ohne den pixeligen Retrocharme des geistigen Vaters. Darüber kann man subjektiv ästhetisch unterschiedlicher Meinung sein, rein objektiv kann sich das finale Produkt aber absolut sehen lassen und fühlt sich wie eine logische Weiterentwicklung der klassischen Castlevania-Optik an. Auch für die Ohren hat „Bloodstained“ einiges zu bieten und feuert aus allen Rohren mit kitschig-charmantem Gothic-Bombast um sich.
Die mehr oder weniger frei erkundbare Karte hält zahlreiche versteckte Gegner, Ausrüstungsgegenstände und seltene Items parat und spornt digitale Schatzsucher schnell zur Hochform an. Wer sich auch nur entfernt für das Genre begeistern kann wird schnell der Sammelsucht verfallen und zu später Stunde nach einem Blick auf die Uhr „noch schnell den einen Raum“ auf der Karte aufdecken wollen. Genau wie früher, zu seligen „Symphony“-Zeiten eben.
Für Auflockerung zwischen all den Hüpfereien, kleinen Rätseleinlagen und natürlich jeder Menge Kämpfen gibt es in der Stadt, der Basis für unsere Monsterhatz diverse Shops und Ansprechpartner, die uns Materialien zu neuen Items „craften“ lassen. Seltene Rüstungsteile oder leistungssteigernde Mahlzeiten können so mehr oder weniger gezielt hergestellt werden, anstatt dass man sich nur auf sein Glück verlässt.
Auch wenn die Charaktere, die Story und die bewusst völlig überbetonte Synchro hanebüchener Unsinn sind, bereitet Castlevania-Veteranen der trashige Unfug sicher viel Spaß. Jüngere Semester ohne Pixel-Vergangenheit fragen sich aber vielleicht, wie das japanische Kasperletheater mit der dichten Atmosphäre eines „Hollow Knight“ mithalten möchte, obwohl es das sicher nie wollte.
Freispielbare Charaktere, Waffen die das Spielgefühl oder gar die Optik unserer Figur völlig verändern oder Anspielungen auf Indie-Spielekollegen wie den „Shovel Knight“ sind nur einige wenige der Gründe, die dafür sorgen werden, dass sich außer „Bloodstained – Ritual of the Night“ erstmal so schnell kein weiterer Spieletitel auf den heimischen Bildschirm verirren wird. Allen Schönheitsfehlern zum Trotz ist es der wahre Thronfolger eines süchtig machenden, zeitlosen Klassikers und wird in einigen Jahren ganz sicher selbst einer sein.
Unser Review erfolgte auf Basis der PS4-Version und der Version für Nintendo Switch.
BLOODSTAINED – Ritual of the Night. Entwickler: ArtPlay. Publisher: 505 Games. Ca.39,99€ 1. Erschienen für PS4, XBox One, PC, Nintendo Switch. LINK