Der junge Ash vergräbt seine Nase den lieben langen Tag in seinen Skizzenbüchern, in die er am liebsten kleine Geister und Monster malt. So flüchtet er vor dem tristen, grauen Alltag in der verfallenen Hafenstadt Denska, die von einer Ölpest heimgesucht wurde und in der mittlerweile außer randlierenden Jugendlichen kein Lebewesen mehr zu sehen ist. Auf der Flucht vor genau solchen gemeinen Schlägern stellt der kleine Träumer fest, dass es keineswegs nur ein Gerücht ist, dass der alte Leuchtturm von einem Geist bewohnt wird. Und seltsamer Weise hat dieser Geist nun auch die Form eines der Wesen angenommen, die Ash in sein Buch gemalt hat. Mit einem magischen Pinsel kann er von nun an der magischen Welt dieser „Dschinn“, wie sie eigentlich heißen neue, leuchtende, lebende Elemente hinzufügen. Vielleicht können der Künstler und die Geister gemeinsam der heruntergekommenen Hafenstadt zu neuem Glanz verhelfen?

Es ist schon ein mutiges Unterfangen, im Zeitalter der Big-Budget-Action-Blockbuster-Triple-A-Games ein so warmherziges, goldiges Kunstwerk wie „Concrete Genie“ mit auf den hart umkämpften Markt zu schicken. Betrachtet man die Mechanik des Abenteuers für Einzelspieler ganz nüchtern, dann hat man all das Schleichen, Klettern und Rätseln auch schon hundertfach in anderen Spielen gesehen. Was hier so besonders ist, das ist die zum Schneiden dichte Atmosphäre, die gestalterischen Kleinigkeiten wie bewusst etwas ruckelige Gesichtsanimationen der menschlichen Figuren, die so durch hochrealistische Lichteffekte aussehen, wie abgefilmte Puppen aus einem aufwändigem Trickfilm wie „Coraline“. Und nicht nur wie computergenerierte, immer gleiche Plastik-Figürchen. Auch die Dschinn, die wie handgezeichnete, bunt leuchtende Trickfilm-Projektionen über die grauen Mauern von Denska flackern, stützen diesen von großem Kunsthandwerk dominiertem Look. So ehrfürchtig saß man als visueller Gourmet zuletzt höchstens vor der traumhaften Retro-Trickfilm-Ballerei „Cuphead“.

Die Lösung der in aller Regel nicht sehr komplexen Rätsel hat stets damit zu tun, dass Ash mit seinem Zauber-Pinsel bestimmte Elemente zu magischen Graffiti hinzufügen muss, um den Dschinn so neue Möglichkeiten zu verschaffen und Wege zu ebnen. Das geht erstaunlich gut und intuitiv von der Hand, wobei der Pinsel mit dem Bewegungsensor des Dualshock-Controllers sehr realistisch bewegt wird und tatsächlich ein wenig die Illusion entsteht, dass man als Spieler den Pinsel selbst führt.

Concrete Genie“ ist ein besonderes und großartiges Spiel, wenn man sich von der warmherzigen, kunstvollen Erzählung an die Hand nehmen und wie in einem guten Buch gemütlich dabei versinken möchte. Das gemächliche Spieltempo und der sphärische Sound sorgen nämlich dafür, dass man auch nach einem stressigen Artbeitstag wundervoll entspannen kann, während man noch ein paar freche Dschinn auf graue Mauern kritzelt. Wer von einem Videospiel aber brachiale, laute Highend-Produktionen mit Spielzeit-maximierten, offenen Welten erwartet, sollte zu einem der diesen Kriterien entsprechenden, zahlreichen Fließbandprodukte greifen. Das hier ist Kunst für Genießer, kein digitales Fast Food.


CONCRETE GENIE, Entwickler: Sony, 29,99 Euro, Getestet auf der PLAYSTATION 4 (optionale VR-Inhalte nicht getestet)

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