Es ist ein Jammer, dass der schwedische Autor Stieg Larsson das volle Ausmaß des Siegeszuges seiner „Millennium“-Trilogie nicht mehr miterleben sollte. 2004 verstarb der Journalist, Autor und Kommunist im Alter von nur fünfzig Jahren. Aktuell sorgt der von David Lagercrantz nach Larssons Tod verfasste vierte Band „Verschwörung“ für kontroverse Diskussionen. Rechtfertigt der Wunsch der Fans nach einer Fortsetzung die von Autoren-Kollege Adler Olsen formulierte „Respektlosigkeit“ vor Larssons Lebenswerk?

Neben zahllosen Übersetzungen, drei schwedischen Verfilmungen mit Noomie Rapace (Prometheus), der amerikanischen Adaption des ersten Buches durch David Fyncher (Fight Club) und Hörbüchern wurde „Millennium“ gleich zwei Mal in Comic-Form adaptiert. In meinem Special geht es aber nicht um die für meinen Geschmack zu sterile und glatte Version aus dem Hause DC und Vertigo, sondern um die französische Adaption aus der Feder von Sylvain Runberg (Warship Jolly Roger). Gemeinsam mit den Künstlern Homs und Man verleiht er der harten und dreckigen Krimi-Reihe den rauhen und opulenten Ton, der sie gebührend inszeniert.

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„Millennium“ ist die Geschichte zweier Schweden, die trotz ihrer gemeinsamen Heimat in völlig verschiedenen Welten leben. Mikael Blomkvist ist das Aushängeschild des linken Magazins „Millennium“. Nachdem er öffentlich schwere Anklage gegen Finanzmogul Hans-Erik Wenneström erhoben hat, ohne für ausreichende Beweise zu sorgen drohen ihm und „Millennium“ der Ruin. Um den anderen Redakteuren und dem Namen des Blattes eine Atempause zu verschaffen lässt Blomkvist sich beurlauben und folgt dem Ruf von Henrik Wanger, seines Zeichens Inhaber eines der mächtigsten Familienunternehmens in Schweden. Blomkvist soll die Aufgabe vollenden, die jeder vor ihm aufgab – Das ungeklärte Verschwinden von Wangers Nichte Harriet aufzuklären.

Bald muss Mikael erkennen, dass seine Ermittlungen in der von Nationalsozialismus und Gewalt geprägten Familie immer wieder ins Leere laufen. Doch er erhält unverhoffte Hilfe durch Lisbeth Salander. Die traumatisierte und aggressive junge Frau verbirgt hinter ihrem Rebellion und Ablehnung versprühenden Äußeren einen enormen Intellekt. Lisbeth muss nicht nur die Energie und Disziplin finden Mikael Blomkvists wichtigste Verbündete auf der Suche nach der Wahrheit zu werden. Gleichzeitig ist sie gezwungen einen erbitterten Krieg gegen ihren gesetzlichen Vormund und seine brutalen Übergriffe zu führen…

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Ich bin ein großer Skeptiker, was die Verwendung sexueller Gewalt in Unterhaltungsmedien angeht. Nicht nur Extremfälle wie die für meine Begriffe abstoßenden Konzepte von „A Serbian Film“ oder der Gewalt-Sex-Zombie-Comics „Crossed“, auch die häufige Verwendung von Vergewaltigungssequenzen in den Werken des sonst von mir hochgeschätzten Comic-Autors Mark Millar betrachte ich mit außerordentlich gemischten Gefühlen. Zwar darf und muss Kunst Tabus brechen dürfen, sollte was mein Werteschema angeht dabei aber werten und anklagen und die Darstellung von Demütigung und Entwürdigung nie zum erzählerischen Selbstzweck verkommen lassen.

Sylvain Runberg gelingt dieser Spagat gemeinsam mit seinen Künstlern bravourös. Die allgegenwärtige Gewalt in „Millennium“ ist handwerklich und visuell durchweg beeindruckend, lässt mir als Leser aber die notwendige Distanz um ein Zeuge zu werden, kein Voyeur. Der Franzose beweist herausragendes Talent den Stoff nicht bloß mechanisch zu portieren, sondern seiner eigenen Kunstform einzuverleiben. Durch den regelmäßigen Wechsel aus wortlosen, mit wenigen Panels perfekt auf den Punkt gebrachten Sequenzen und lebendiger, die Mimik der Charaktere ergänzenden Dialogen wird aus Millennium ein exzellenter Comic. Kein illustrierter Roman und kein gemalter Film mit Sprechblasen.

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Leider verspüre ich bei all meiner großen Begeisterung für „Millennium“ offengesagt auch ein wenig Mitleid mit Künstler Manolo Carrot. Dessen deutlich reduzierte Zeichnungen sind für sich solides Handwerk, das mit seinem teilweise ein wenig an Manga erinnerndem, stimmungsvoll koloriertem Eindruck aber weit hinter der von José Homs mit den ersten zwei Bänden aufgebauten Erwartungshaltung zurückbleibt. Homs ist ein virtuoses Genie, das mit seinem Kontrast zwischen vor Details strotzenden, karrikaturhaften Charakteren und verstörend düsteren Szenarien eine unverwechselbare Bildsprache erschafft. Ich fühle mich unweigerlich an mein Interview mit Miquel Montlló, Sylvain Runbergs Künstler bei „Warship Jolly Roger“ erinnert, in dem ich meine Affinität für spanischsprachige Comickünstler wie Humberto Ramos, John Romita Jr. oder Miki selbst gestehe. José Homs ist der neue Mann auf meiner Liste, großartig.

Sylvain Runbergs Adaption von „Millennium“ wird mit Erscheinen des sechsten Bandes im November gleichzeitig die erste Interpretation von Stieg Larssons Reihe sein, die ich vollständig gelesen oder gesehen habe. Neben David Fynchers amerikanischer Verfilmung, die mich gut unterhalten aber nicht völlig vom Hocker gehauen hat, habe ich mich vor einigen Jahren am ersten Roman versucht. Nachdem mein sprachwissenschaftlicher Feldwebel von Deutsch-LK-Lehrer mir das Lesen nachhaltig entromantisiert und verdorben hat ist das ein Ereignis, das nur noch sehr selten vorkommt und außerordentlich großes Interesse bei mir voraussetzt. Trotz meiner großen Begeisterung für die inhaltliche Prämisse habe ich damals keinen Zugang zu „Verblendung“ gefunden. Die Erzählweise war mir ganz subjektiv zu kühl und faktisch.

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Ich bin außerordentlich dankbar dafür, auf diesem Weg einen Zugang zu dieser wirklich fantastischen Erzählung gefunden zu habe, die ungeachtet meiner mangelnden Kenntnis über ihren Ursprung oder ihre anderweitigen Verwertungen perfekter Stoff für einen Comic ist. Überzeichnete Charaktere wie der ekelerregende Menschenhändler Zala oder der monströse Roland sind bereits seit den dreißiger Jahren fester Bestandteil sequentieller Geschichten. Und die verbitterte Lisbeth steht Batman deutlich näher als handelsüblichen Krimi-Ermittlerinnen. Leider werden wir Stieg Larsson nicht mehr fragen können, inwiefern Comics ihn beeinflusst haben. Auf diesen hervorragenden Comic, der sein Werk interpretiert müsste er aber einfach unglaublich stolz sein.

Millenium erschien in bislang 5 Hardcover-Alben, die mit je zwei Bänden eine der Romanvorlagen adaptieren. Der im November erscheinende sechste Band wird sowohl „Vergebung“ als auch die komplette Trilogie vollenden. Alternativ bietet der Splitter-Verlag die Geschichte in je zwei Alben umfassenden Graphic Novels an, die ein handlicheres Format und einen günstigeren Preis bieten. Mit dem sechsten Album wird gleichzeitig auch das dritte und letzte dieser „Books“ veröffentlicht.

  • Autor – Stieg Larsson (Romanvorlage), Sylvain Runberg (Comicadaption)
  • Zeichner Bände 1,2,5 & 6 – José Homs
  • Zeichner Bände 3 & 4 – Manolo „Man“ Carrot
  • Übersetzerin –  Tanja Krämling
  • Format – 6 Hardcover-Alben oder 3 Hardcover-„Books“
  • Seiten – je ca.64 Seiten pro Album entsprechend 128 Seiten pro „Book“

Rezensionsexemplare – Hardcover-Alben, zur Verfügung gestellt von Splitter – Herzlichen Dank!

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