Um dem Eroberungsfeldzug der Nationalsozialisten aus Deutschland Einhalt zu gebieten, erschaffen Hitlers Gegner einen Supermenschen. Biologisch manipuliert, mit übermenschlichen Kräften und pfeilschnellen Reflexen ausgestattet, ist es nicht etwa „Captain America“, der auch heute noch erfolgreich das Böse bekämpft und die freie Welt beschützt. Nein. Es ist „Captain Berlin“, eine der obskuren Schöpfungen von Kult-Filmer Jörg Buttgereit.

Zuvor sollte die Mythologie des vom antifaschistischen Widerstand initiierten Muskelprotzes aber zunächst durch trashige Kurzfilme, ein Hörspiel und sogar ein von Buttgereit selbst inszeniertes Theaterstück sorgsam aufgebaut werden. Ein waschechter Superheld muss natürlich auf eine Historie zurückblicken können, braucht multimedialen Rückhalt. Wie auch die österreichischen Super-Kollegen von „ASH“, versteht sich „Captain Berlin“ trotz oder gerade wegen all jener haarsträubend konstruierter Zusammenhänge zwischen Nazi-Offizierinnen, Gargylen, Okkultismus-Guru Alistair Crowley, japanischen Kaiju-Monstern und dem Elefantenmenschen keineswegs bloß als stumpfe Verballhornung des Genres.

Sowohl der inhaltliche Aufbau, als auch die visuelle Präsentation des ersten Captain-Sammelbandes aus dem Weissblech-Verlag werden Freunde klassischer Golden-Age-Heldenstories anerkennend ihren aufgeregten Hitzeblick schweifen lassen. Buttgereit führt Comic-Freunden hier so charmant wie schonungslos vor Augen, wie wichtig vermeintlich willkürlich zusammengewürfelte und bizarre Handlungsfetzen ursprünglich für die DNA des Heldencomics waren. Ein wenig Marvel-Flair und unverhofft ansprechender Mignola-Trash wehen nämlich durchaus durch die leider noch nicht vergilbten Seiten dieser Liebeserklärung an die Ursprünge des jüngst eskalierenden Popkultur-Phänomens „Superheld“.

Sämtliche in den hier chronologisch neu arrangierten vier Heften vertretenen Zeichner leisten erfolgreich ihren Beitrag, damit „Captain Berlin“ auch optisch weit mehr als ein müder, parodistischer Abklatsch wird. Trotz aller verdienten Anerkennung für seine Kollegen heben sich die Arbeiten von Rainer F. Engel dabei aber weit ab, der mit seinem Batman-Backbreaker-Zitat, einem herrlichen Frankenstein-Pinup aber vor allem der congenialen Hitler-Splashpage auf Seite 17 (die ich mir sofort als Poster aufhängen würde!) ein konstant extrem hohes Niveau liefert. Weltklasse.

ERRATA: Da hat er sich schön slebst ans Messer geliefert, der feine Herr Rezensent… Tatsächlich sind sowohl die Hitler-Page als auch das Batman-Zitat Kreationen von Künstler Fufu Frauenwahl. Mea Culpa!

Der „Captain Berlin“-Supersammelband ist auch eine unbedingte Empfehlung an eingefleischte Ami-Leser, die sich bislang nicht für die deutsche Comic-Landschaft erwärmen konnten. Hier findet ihr Brüder im Geiste. Versucht’s doch mal!


CAPTAIN BERLIN: Supersammelband 1
Autoren & Künstler: Jörg Buttgereit, Rainer F. Engel, Fufu Frauenwahl, Levin Kurio Marte Kurio, The LEP, Martin Trafford, Roman Turowski
Softcover
132 Seiten
14,90 Euro
Erschienen bei WEISSBLECH