Der 1905 von Winsor McCay erschaffene Comicstrip war seiner Zeit weit voraus. Ein ganzseitiger, vollfarbiger Comic war damals auch ein großes Wagnis der amerikanischen Tageszeitung  „New York Herald“. Obwohl längst nicht jeder Leser die künstlerischen Anspielungen der fantasievollen Geschichten verstand, war „Little Nemo“ jahrelang ein großer Erfolg.

Der kleine Nemo heißt eigentlich Jimmy. „Nemo“ ist bloß sein zweiter Vorname, den seit Vater ihm gegeben hat, weil er als Kind einen gewissen Comicstrip so gern mochte. Eines Abends beginnen merkwürdige Dinge zu geschehen, sobald Jimmy schlafen geht. Denn die Prinzessin des Schlummerlandes wünscht sich nichts sehnlicher, als einen Spielgefährten. Und weil der kleine Nemo nun genau so heißt, wie ihr Lieblingsspielgefährte vor vielen, vielen Jahren fällt ihre Wahl auf Jimmy. Jeden Abend holen die Schlummerländer nun auf spektakuläre Weise den kleinen Jungen erneut zu sich und erleben mit ihm die skurrilsten Abenteuer. Dabei ist sich Jimmy gar nicht so sicher, ob er überhaupt mit einem Mädchen spielen möchte und ob er wirklich für immer im Schlummerland bleiben möchte…

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Die „Little Nemo“-Geschichten von Winsor McCay haben nun in mehr als einem Jahrhundert immer wieder neue, künstlerische Interpretationen gesehen. Mir war überhaupt nicht klar, wie weit die Geschichten des kleinen Abenteurers eigentlich zurückreichen. Bei meinen Recherchen zum Thema habe ich mir natürlich auch ein paar der ursprünglichen Comicstrips angeschaut. Und ich war wirklich irritiert darüber, wie detailreich, liebevoll und aufwändig die historischen Comicstrips gestaltet waren.

Durch Nemos Begegnungen mit den „fliegenden Terriern“ habe ich mir auch die Parallelen zwischen den Abenteuern von Nemo und der kleinen Coraline, aus der Feder von Neil Gaiman genauer angeschaut. Denn Gaiman hat sich nicht nur die geflügelten Hunde aus McCays fantastischen Traumreisen geborgt, sondern mit Coraline eine strukturell eng an Nemo orientierte, düstere und bizarre Variante erschaffen. Das ist aber nur ein Beispiel für die zahllosen, großen Künstler, die der Klassiker bereits erfolgreich inspiriert hat. Bei genauerer Betrachtung wird man unzählige pop- und hochkulturelle Verbeugungen vor dem Original finden. Aber heute soll es um die ursprünglich im IDW-Verlag und nun deutsch übersetzt bei Splitter verlegte Fortsetzung gehen.

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Autor Eric Shanower ist vor allem bekannt für seine wundervollen „Oz“ Comics aus dem Marvel Verlag. Gemeinsam mit dem sehr populären, cartoon-lastigen Stil von Zeichner Scottie Young (Rocket Raccoon) hat er dort bereits Erfahrungen bei der extrem erfolgreichen Modernisierung eines Kinderbuch-Klassikers sammeln können. In „Little Nemo – Rückkehr ins Schlummerland“ fängt er den naiven Charme mit der gleichen episodischen Erzählweise ein, wie sie McCay bereits Anfang des 20. Jahrhunderts nutzte. Mit großem Respekt vor den Charakteren und der Stimmung des Originals schildert Shanower vor Fantasie übersprudelnde, episodische Geschichten, die erzählerisch geschickt miteinander verwoben werden.

Man spürt ganz klar die sehr enge und respektvolle Zusammenarbeit mit Künstler Gabriel Rodriguez (Locke & Key), einem meiner absoluten Lieblingszeichner. Seine zielsicheren, lebendigen Tuschlinien und sein außerordentliches Gefühl für Mimik und Gestik sind die perfekte Wahl für Schlummerland und seine verrückten Bewohner. Auch Rodriguez und Kolorist  Nelson Daniel haben viel Energie darin investiert die Vorlage nicht über ihr gestalterisches Knie zu brechen, sondern die zahllosen Kunstgriffe der ursprünglichen Abenteuer von Nemo, Flip und der Prinzessin des Schlummerlandes in ein modernes Gewand zu kleiden. Und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen!

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Die aufwändige Darstellung der Jugendstil-Architektur des Schlummerlandes, sowie surreale Elemente wie die berühmte Penrose-Treppe sind nur zwei Beispiele für die zahllosen Kunstzitate, die in „Little Nemo – Rückkehr ins Schulmmerland“ stecken. Das Beste an dem wunderschönen, großformatigen Hardcover ist aber, dass man auch sämtliche dieser kulturellen und künstlerischen Aspekte ausblenden kann, um sich auf das zu konzentrieren, was „Little Nemo – Rückkehr ins Schlummerland“ eigentlich ist – Ein gestalterisch und erzählerisch absolut harmonisches Loblied auf die Macht der Fantasie. Ein großartiges, kurzweiliges und unglaublich charmantes Buch, dessen offenes Ende die Option auf mehr Abenteuer im Schlummerland bereit hält. Ich für meine Teil wäre sofort wieder mit dabei…

  • Autor – Eric Shanower
  • Zeichner – Gabriel Rodriguez
  • Hardcover
  • 128 Seiten
  • Preis – 24,80€
  • ISBN 978-3-95839-138-3
  • Erschienen am 01.08.2015

Rezensionsexemplar – Hardcover, zur Verfügung gestellt von Splitter – Herzlichen Dank!

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